Carolin Emcke über „Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit“.
Vollständige Lesung im ArchivDieses Gespräch über das Buch von Carolin Emcke scheint auf den ersten Blick nicht viel mit queerer Literatur zu tun zu haben – es geht um Krieg und um Gewalt und wie diese Gewalt von denjenigen, die Gewalt erlebt haben in Kriegssituationen, zum Ausdruck gebracht wird. Carolin Emcke spricht von epistemischer Gewalt in dem Textauszug – der Gewalt, die sich in die Wissensnormalitäten einer Gesellschaft einschreiben und über diese ausdrücken. Und welche Räume es Personen, die durch Gewalt konstituiert werden, eröffnet, über sich selber und ihre eigenen Geschichten zu sprechen.
Warum habe ich diesen Textausschnitt ausgewählt? Es geht mir nicht um eine Gleichsetzung unterschiedlicher Gewaltformen, sondern um die Mechanismen, die struktureller Gewalt zueigen sind und die sich vielleicht vergleichbar bis zu einem gewissen Grad hören lassen bei Carolin Emcke und ein stückweit auf das Schweigen und die Unsagbarkeiten bestimmter queerer Lebenswelten übertragen lassen.
Welche Wortungen können helfen zu verstehen, was ich nicht höre?
Vielleicht empfinden Menschen ein Unbehagen mit ihrer Performance, ihrem Sein in Welt, der Form, wie sie eingelesen werden: Als Frauen oder Männer. Als Frauen oder Männer begehrend. Ein Unbehagen, das sie aber nicht weit darüber hinaus worten können.
Wie ist formulierbar, wozu die Worte fehlen?
Ein dumpf klingender hohler Raum der Wortlosigkeiten im Gelesenen und Gehörten fällt auf die Menschen selbst zurück, immer wieder, und lässt sie schweigen, lässt sie sprachlos.
Wie erzählen Menschen eigene Geschichten, die vor allem auch durch Gewalt konstituiert sind? Gewalt, die so grundlegend ist, so normal ist, dass sie gar nicht als Gewalt wahrgenommen und gewortet werden kann?
Die Aussagen von Carolin Emcke zu ihrem Buch sprechen nicht über die Übertretung von Heteronormativität und die Gewalt, die diesen Normen so stark innewohnt, dass sie gar nicht formulierbar ist, dass es nicht möglich ist zu ihr in Distanz zu gehen. Carolin Emcke spricht über Geschichten von Flucht, Vertreibung und Rassismus, für die sie zunächst Zeit brauchte, um sie zu verstehen, um die Geschichten hinter den Geschichten zu hören. Um zu verstehen, wie sich in Narrationen der Wunsch äußert ein würdiges Bild von sich selbst zu entwerfen.
Wieviele Personen verstehen sich als non-binär in den Romanen dieses Hörraums? Und wie drückt sich das sprachlich aus? Gibt es überhaupt einen ‚allgemein-verständlichen‘ sprachlichen Ausdruck dafür? Wie könnte der sein, wenn er nicht Weiblichkeit und Männlichkeit als kontinuierlichen Bezugrahmen immer wieder neu aufrufen will?
Wieviele Geschichten handeln von Personen, die durch Rassismus diskriminiert werden? Die beHindert werden? Inwiefern sind also die (wenigen) Geschichten, die überhaupt als literarische Geschichten in den Archiven hörbar sind, vor allem Geschichten von weißen, nicht-beHindert werdenden Personen – und welche Stereotype und Bilder stellen sich darüber ein, u.a. auch zu Sexualität?
Gewalt auf den Körper geschrieben – Gegen verkörperte Gewalt anschreiben
Zur HörstationStille Macht – Gewortetes Schweigen
Zur HörstationUner_geHörtes
Zur Hörstation30.01.1999, Ort, Lesung „Lorem ipsum lara est“
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