20 Jahre Studio LCB

23. September 2010
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Peter Wawerzinek
Gesprächspartner: Katja Lange-Müller und Peter Schneider
Moderation: Hajo Steinert

Programmtext

Die monatliche Veranstaltungs- und Sendereihe "Studio LCB" feiert ihr 20jähriges Jubiläum mit drei prominenten Berliner Schriftstellern: Peter Wawerzinek, Katja Lange-Müller und Peter Schneider. Im Mittelpunkt des Abends steht die Lesung Wawerzineks aus seinem im Juni mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichneten Roman "Rabenliebe". Der 1954 in Rostock geborene Autor erzählt darin von seiner Kindheit. Nachdem die Eltern in den Westen geflohen sind, wuchs der Junge in mehreren Kinderheimen auf, ehe er von einem Lehrerehepaar adoptiert wurde. "Wie konnte meine Mutter mich verlassen", ist die bohrende Frage, die sich Peter Wawerzinek in seinem Leben immer wieder stellte, bis er endlich darüber schreiben konnte. Äußerst berührend erzählt er, wie er sich auf die Suche nach der verlorenen Mutter begibt, einen "am Ende gescheiterten" Fluchtversuch unternimmt und sie kurz nach dem Fall der Mauer 1989 wiederfindet, um sie wiederum aus den Augen zu verlieren. Wawerzinek fiel in den achtziger und frühen neunziger Jahren als Performance-Künstler, Musiker und Stegreifpoet in den Provinzen der DDR und auch in der Ost-Berliner Bohème am Prenzlauer Berg auf. Verschiedene Bücher erschienen (u. a. 1990 der Roman "Nix"), ehe es lange Zeit still um ihn wurde. Nun ist er wieder da und feiert beim Publikum und in der Literaturkritik große Erfolge. Die Gesprächspartner des von Hajo Steinert moderierten Abends sind die in Ost-Berlin aufgewachsene Schriftstellerin Katja Lange-Müller, 2008 mit dem vom Deutschlandfunk und der Stadt Braunschweig vergebenen Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet, und der im Westen der Stadt seit 1962 lebende Schriftsteller und Publizist Peter Schneider, geboren 1940 in Lübeck. Von seinen Erzählungen und Romanen erlangte vor allem "Der Mauerspringer" (1982) internationalen Ruhm.

Weiterführende Information

Zwei Themen dominieren die Jubiläumssendung des Studio-LCB. Zum einen die Literatur der DDR, zum anderen die literarische Verarbeitung von Traumata. Hajo Steinert unterhält sich im ersten Teil der Sendung mit seinen Gästen über die Literaten-Szene am Prenzlauer Berg, die vor dem Mauerfall in den Feuilletons der BRD Aufmerksamkeit erzielt hatte. Wawerzinek beschreibt diese Szene als einen "überladenen Frachter, als Hirnschiff" - und man könnte meinen, dass die Literatur der DDR hier schlecht weg kommt. Das ist jedoch nicht der Fall. Man spricht ausführlich über das Wirken des vor kurzem verstorbenen Dichters Adolf Endler. Jeder Teilnehmer hat Erinnerungen an jenen "Homme de Lettre" der DDR. Über die Form der Anekdote wird die Person dem Hörer nahe gebracht. Das Bewusstseins-Phänomen "Erinnerung" spielt nach der Lesung eine große Rolle. In der Debatte um Wawerzineks Roman geht es ebenfalls um die Frage, ob man der Erinnerung trauen oder misstrauen soll. Anders gesagt: Ist sie Quelle der Wahrheit oder die Konstruktion von "Erwachsenen", die sich im Nachhinein eine "Wunschkindheit" bauen. Der Roman "Rabenliebe" thematisiert die metaphysische Verlassenheit des Menschen am Beispiel einer traumatischen Erfahrung des Autors, der als Zweijähriger von seiner Mutter regelrecht sitzen gelassen wurde.

Hajo Steinert zeigt zu Beginn der Sendung ein Video über die Literaten-Szene am Prenzlauer-Berg.

 

Personen auf dem Podium