Ach zum Teufel die Bilanzen ! – Verleger im Gespräch

28. April 2004
Literarisches Colloquium Berlin

Gespräch: Klaus Wagenbach
Moderation: Martin Lüdke

Programmtext

Mit dem Tod Siegfried Unselds ist eine Epoche zu Ende gegangen. Auch in Verlagen, deren Namen für ein Programm standen, Rowohlt, S. Fischer, Piper, ist eine neue Generation jetzt an der Reihe. Sie sind nicht mehr Eigentümer eines eigenen Unternehmens, sondern Konzernangestellte, bestensfalls Geschäftsführer der Anteilseigner. Die Arbeit in den Verlagen hat sich unter den Bedingungen der Marketing-Gesellschaft verändert. Denn Verleger sind nicht zuletzt Agenten des Zeitgeistes. Sie sind immer auch Opportunisten, die dem Publikum liefern, was es lesen will. Zuweilen sicher auch Missionare, die das Publikum bedrängen, das zu lesen, was es lesen soll. Der gute Verleger zeichnet sich vielleicht dadurch aus, dass er in diesem Widerspruch laviert. Der Kompromiss wird betriebswirtschaftlich als Mischkalkulation bezeichnet. Die Gefahr, dabei das Profil zu verlieren, ist offensichtlich groß. Doch es gibt noch Ausnahmen: Verleger, die ein Programm machen, auch wenn ihnen der Laden nicht gehört. Die wissen, was sie wollen, was wir lesen sollen und die offen von Rendite reden, weil sie heimlich denken, »Ach, zum Teufel die Bilanzen« (Ledig-Rowohlt). In unserer wiederaufgenommenen Reihe spricht Martin Lüdke mit Klaus Wagenbach, dessen Verlag in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum feiert.

Weiterführende Information

Bei diesem Gespräch mit Klaus Wagenbach, das für den Rundfunk produziert wurde, fällt auf, dass ein Verleger alternativer, linkspolitischer Literatur in seiner Karriere vor allem die Kunst im Bewahren von Nerven beherrschen muss.  Davon erzählt Wagenbach gern, ausführlich und ungebrochen heiter.  Es gibt einiges, das einen Verleger schwer belasten kann. So zum Beispiel das Publikum. In den 70ern, so berichtet Wagenbach, konnte sein Verlag noch einen regen Zulauf beim Verkauf von politischer Literatur verzeichnen. Dieses Interesse hörte nach 1979 abrupt auf.
Die Reflexion über die heutige Situation in der Buchbranche, die Wagenbach als eine Herrschaft der "Bilanzfetischisten" beschreibt, wird von Lüdke und seinem Gesprächspartner dann unter einem weniger personellen Gesichtspunkt behandelt. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wurde eine Debatte darüber geführt, dass ein stark ökonomischer (oder eher kapitalistischer) Geist die Verkaufspolitik der Verlage bestimme. Ein Titel müsse sich bis zu 7000 Mal verkaufen, sonst komme er gar nicht ins Programm. Wagenbach erläutert diese Situation kenntnisreich und umreißt, dass ein solcher Eingriff in die Wissensvermittlung für eine Gesellschaft letztendlich problematisch sei.

Personen auf dem Podium