Die Kunst des Lesens - Positionen der Literaturkritik

14. Februar 1995
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Gustav Seibt
Moderation: Walter Klier

Programmtext

In einer Zeit der riesigen, oft ruinösen Buchproduktion und einem immer schneller sich vollziehenden Umsatz der Neuerscheinungen ist eine sensibel und nachvollziehbar urteilende Literaturkritik notwendig. Mit Beliebigkeit, Vagheit oder banalem Pragmatismus auf der einen Seite und einem oft nicht minder fragwürdigen Absolutismus des Urteils auf der anderen Seite sind Gefahren beschrieben, die auch die professionelle Literaturkritik selten meistert.
In unserer neuen Veranstaltungsreihe fragen Autoren nach dem Ethos und den Maßstäben namhafter Literaturkritiker. Gustav Seibt gehört als Literaturredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu den Mächtigsten seiner Zunft. Walter Klier (Innsbruck) war 1989 Stipendiat im LCB. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift "Gegenwart" und hat Romane und Erzählungen veröffentlicht ("Aufrührer", 1991); zuletzt einen Essay über das "Shakespeare-Komplott" (Steidl-Verlag).

Weiterführende Informationen

Der österreichische Schriftsteller Walter Klier unterhält sich mit Gustav Seibt, der 1995 das Ressort für Literatur der FAZ leitete. Zunächst ist "das neurotische Verhältnis der deutschen Intellektuellen zur Macht" ein Thema. Dann wendet man sich jedoch den heutigen Bedingungen der Literaturkritik zu. Seibt erklärt, warum das Leseverhalten eines Literaturkritikers ein ganz unnatürliches sei. Auch erläutert er, warum er Robert Gernhardts Bezeichnung "Oberkellner" für Literaturkritiker für so geeignet hält. Man kommentiert aber auch das "große Geflecht von Freund- und Feindschaft" im Literaturbetrieb. Seibt meint dazu: "Ich versuche es da mit Keuschheit… die Kollision zu vermeiden." Einer der vielen Höhepunkte dieses vitalen Gesprächs befindet sich am Schluss der Aufnahme: Susanne Tamaros schnulziger Roman "Geh, wohin dein Herz dich trägt" war Mitte der 90er Jahre ein europäischer Bestseller. Gustav Seibt bezeichnet solche Phänomene als "sozialen Wahnsinn" und "massenpsychologische Bombe".

Personen auf dem Podium