„Die Vertreibung aus der Hölle“

12. September 2001
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Robert Menasse

Programmtext

Auf die Frage „Wie arbeiten Sie“, antwortete Robert Menasse einmal kurz und bündig: „Ich will eine Geschichte erzählen.“ Mit seiner „Trilogie der Entgeisterung“ – den Romanen „Sinnliche Gewissheit“, „Selige Zeiten, brüchige Welten“ und „Schubumkehr“ – hat er bewiesen, daß er dieses Metier meisterhaft beherrscht. Dabei hat er ganz nebenbei und ohne daß es die Lesbarkeit seiner Prosa auch nur im geringsten beeinträchtigen würde, Hegels „Phänomenologie des Geistes“ auf sehr originelle Weise aktualisiert. Sein neuer Roman handelt von den Entsprechungen zweier Biographien, einer aus dem siebzehnten und einer aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Das eigentliche Thema dieses Buchs, das im Juli im Suhrkamp Verlag erscheint, ist aber unser Umgang mit Geschichte.

Weiterführende Informationen

Auf der einen Seite Viktor Abravanel, Nachfahre einer der berühmtesten sephardisch-jüdischen Gelehrtenfamilien der Frühen Neuzeit, Student im Nachklang der 68er und später Spinoza-Forscher; auf der anderen Seite Samuel Menasseh Ben Israel, Kind portugiesischer Marranen, d. h. zwangsgetaufter iberischer Juden, später Rabbiner in Amsterdam und einer der Lehrer Spinozas – dies sind die beiden Protagonisten von Robert Menasses Roman.
Er beginnt seine Lesung mit der Episode eines Klassentreffens, 25 Jahre nach der Matura. Bevor er am nächsten Tag nach Amsterdam fliegen muss, um einen Vortrag zur Frage „Wer war Spinozas Lehrer“ zu halten,  konfrontiert Viktor in Wien die anwesenden Lehrer mit ihrer Nazi-Vergangenheit. 
Nach einer kurzen Skizze zur Konzeption des Romans, dessen Geschichte eine Klammer bilde um die Epoche der europäischen Aufklärung, an dessen Beginn Spinoza stehe und die mit dem 20. Jahrhundert zu Ende gehe, liest Robert Menasse die Beschreibungen der Geburt seiner zwei Protagonisten: Viktor wird am 15. Mai 1955 geboren, dem Tag des österreichischen Staatsvertrags, der Österreich die erneute Unabhängigkeit garantierte; Menasseh Ben Israel dagegen im Jahr 1604, am Tag eines Autodafés, also einer öffentlichen Verbrennung der Ketzerei angeklagter getaufter Juden. Ein Datum, das den Beginn einer Verdrängungszeit antisemitischer Verbrechen markiert, spiegelt sich im Datum eines Exzesses christlicher Judenverfolgung. Aus dieser Konfrontation von Gegenwart und Geschichte entfaltet sich die Erzählung des Romans mit seinen beiden „Spiegelgeschichten“, wie es Menasse ausdrückt. 

Personen auf dem Podium