Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 1: Das weiße Blatt oder Wie anfangen?“

17. April 1994
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Zur Eröffnung sprechen: Friedrich Pfäfflin, Ludwig Harig, Ulrich Ott

Sobald alle Rechtsinhaber zugestimmt haben, wird diese Veranstaltung vollständig nachzuhören sein.

Programmtext

Ausstellungen
Vom Schreiben. In den kommenden beiden Jahren werden Marbacher Kabinett-Ausstellungen in loser Folge einem Thema gewidmet sein: Der Schriftlichkeit von Literatur in ihren Bezügen und Voraussetzungen, an historischen Beispielen vergegenwärtigt durch thematische Querschnitte; an einzelnen Autoren exemplifiziert durch zeitgenössische Schriftsteller.

Vom Schreiben wird, den Prinzipien der Anthologie folgend, Aspekte der literarischen Produktion aus zweihundertfünfzig Jahren Literaturgeschichte beleuchten und dabei die Marbacher Sammlungen aus der Zeit von 1750 bis zur Gegenwart ins Spiel bringen.

Vom Schreiben geht der „Mühe des Anfangs“ nach, von Schiller bis Wilhelm Lehmann, von Jean Paul bis Paul Celan. Die Schreibwerkzeuge und Schreibgeräte vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart als Voraussetzung schriftlicher Äußerungen sollen vorgestellt werden und in Zeugnissen beschrieben werden. Stimulanzien zur Produktion, von Schillers berühmten Äpfeln bis zu Opiaten und Rausch, und die öffentlichen und privaten Schreiborte werden untersucht. Die Ausstellungen im Foyer des Schiller-Nationalmuseums erheben dabei keinen Anspruch auf vollständige Dokumentation.

Vom Schreiben soll sich als spontane Form einer literarischen Ausstellungsskizze, aber auch im Foyer des Deutschen Literaturarchivs in einer zweiten Folge entfalten: Autorinnen und Autoren von heute ordnen ihre Arbeit in die Tradition ein. Dabei soll das ganze Umfeld des Produzierens und die Organisation des „Schriftstellerns“, wie Wilhelm Hauff das genannt hat, in den Blick genommen werden.

Die Ausstellungsreihe
Vom Schreiben beginnt am Sonntag, den 17. April mit einer Matinée. Ludwig Harig, der die erste Ausstellung und das dazu erscheinende ‚Marbacher Magazin‘ begleitet, wird lesen. Die Ausstellung steht im Foyer des Schiller-Nationalmuseums bis Ende Juni 1994.

Weiterführende Informationen

Die erste Kabinett-Ausstellung der Reihe „Vom Schreiben“ im Schiller-Nationalmuseum ist den „Mühen des Anfangens“, ist dem weißen Blatt gewidmet. Friedrich Pfäfflin, der die Idee zu dieser Ausstellungsreihe hatte, stellt einführend Ludwig Harig vor: Er sei ein überaus experimentierfreudiger Schriftsteller und finde das Gleichgewicht zwischen Spieltrieb und Formbewusstsein. Harig habe sich auf das Vorhaben eingelassen, seine Überlegungen zu den Schwierigkeiten mit dem weißen Blatt festzuhalten. Eine Ausstellung, so Friedrich Pfäfflin, könne nur die materiellen Belege von Entstehungsprozessen zeigen: Sie deute an, sie weise darauf hin, sie gebe Anstöße, sie mache etwas erahnbar vom Abenteuer im Kopf des Autors (wie aus Wörtern eine Welt entstehe!) und sie ergänze sich im Kopf eines jeden „Ausstellungslesers“ auf ganz eigene Weise. Die Exponate (Denkblättchen, Ideenmagazine, Fundstücke, Exzerpte etc.) würden nicht den Ablauf des Schreibprozesses beschreiben, sondern sie seien Standaufnahmen aus einem beweglichen Vorgang, in dem jede Veränderung Konsequenzen für den ganzen Kosmos habe. Zum Beispiel lag in der ersten Vitrine der Notizblock, den Ludwig Harig beim ersten Treffen zur Vorbereitung der Ausstellung in der Tasche hatte.

Ludwig Harig liest einen Text mit dem Titel „Das weiße Blatt“ vor, den er später zu Anfang seines Romans „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“, 1996 beim Carl Hanser Verlag erschienen, verarbeitete. Er reflektiert in diesem essayistischen Werk über die erste Hürde, die ein jeder Autor zu Beginn eines Schreibprozesses überwinden muss: „Was hat es nicht schon Scherereien um das weiße Blatt Papier gegeben! Der eine beugt sich darüber, faßt seine häßliche Leere ins Auge, ergreift den Stift, als sei er ein Säbel, und verachtungsvoll attackiert er es mit wüsten Federhieben. Ein anderer streichelt es zärtlich, mißt mit schwankenden Blicken seinen Umfang aus, grübelt und tüftelt und bebrütet einen weitläufigen Gedanken, vertraut dem Blatt Papier aber nur ein einziges Wörtchen an. Einem dritten ist es das Weiße am weißen Blatt, das ihm die eigentliche Leere vor Augen führt, er schüttelt sich vor seiner Kälte, es graust ihn und er schlägt einen weiten Bogen um das weiße Blatt.“

Personen auf dem Podium