Erzählte Geschichte

25. April 2005
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Gila Lustiger und Eva Menasse
Moderation: Christoph Bartmann

Programmtext

Geschichtsschreiber und Dichter unterscheiden sich nicht dadurch, daß sie entweder in gebundener oder in ungebundener Rede sprechen, sondern dadurch, daß der eine erzählt, was geschehen ist, der andere, wie es hätte geschehen können. So füllen (un-) zeitgemäße Poeten seit je das aus, was im historischen Prozeß oft übersprungen wird. Denn nicht etwa politische Großereignisse und Entscheidungsschlachten sind ihnen Stoff, vielmehr ist es der sogenannte Alltag, den sie Schicht um Schicht freilegen und mit literarischen Mitteln beredt machen. Doch was denken jüngere Autorinnen und Autoren von heute über diese traditionsbildende Poetik? Wie gehen sie mit der sogenannten Geschichte in ihren Erzählungen um? Welchen Wahrheiten sind sie mit ihren Geschichten in immer neuen Anläufen auf der Spur? Eva Menasse, Jahrgang 1970, macht in „Vienna“ (KiWi 2005) den Erinnerungsprozeß zum Ausgangspunkt des Erzählens und entwirft mit den verzweigten Geschichten einer Wiener Familie mit jüdischen Wurzeln den Bilderreigen einer Epoche. Indem sie Privates mit den großen Zeitläuften verknüpft, erzählt Gila Lustiger, Jahrgang 1963, in ihrem Roman „So sind wir“ (Berlin Verlag 2005) die Geschichte der europäischen Juden neu. In einer Fülle tragikomischer Episoden geht es um die Gründungsmythen des Staates Israel und ihre eigene Familiengeschichte, insbesondere um ihren Vater Arno Lustiger, einen Auschwitz-Überlebenden.

Personen auf dem Podium