Studio LCB mit Arno Geiger

16. März 2010
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Arno Geiger
Gesprächspartner: Elke Schmitter und Daniela Strigl
Moderation: Hubert Winkels

Weiterführende Informationen

"Bezeichnenderweise habe ich noch nicht darüber nachgedacht, ob Arno Geiger Österreicher oder Deutscher ist", so die Spiegel-Literaturkritikerin und Autorin Elke Schmitter zu Beginn der Sendung. Damit ist auch ein Aspekt des Gesprächs angerissen: Kann man literarische Bestimmungsmerkmale allein aus der unterschiedlichen Herkunft der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur herauslesen? Anders gefragt: Gibt es typisch deutsche, österreichische, schweizerische Schreibweisen?
Weitere Fragen, die an diesem Abend geklärt wurden, lauteten: Wie sah der künstlerische Werdegang Arno Geigers aus? Warum spielte das Jahr 1989 in seinem Debüt "Kleine Schule des Karussellfahrens" (1997) eine so große Rolle? War etwa die Revolution sein Thema gewesen? "In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert wurde mit dem Wort Revolution vorwiegend die Umlaufbahn der Erde um die Sonne beschrieben", so beginnt der Autor seine Ausführungen - und umreißt daraufhin die romantischen Vorstellungen von Revolutionen in den Köpfen von BRD-Wohlstandsjugendlichen, die Ende der 60er geboren wurden.
Das große Thema der Sendung ist aber der Ehebruch als Hauptmotiv in Geigers Roman, was natürlich zur Reflexion der großen Vorbilder Flaubert, Tolstoi, Fontane einlädt; und ob der Roman für ein solches Thema heutzutage überhaupt die adäquate Ausdrucksform ist. Das führt zunächst zu einer eher ironisch gefärbten Debatte über die saisonal-inflationären Diskurse, die den baldigen Tod des Buches und der Literatur ankündigen. Elke Schmitter erzählt, dass sie mit dem bekannten Autor Peter Bichsel einmal eine Diskussion über den "Untergang des Buches" habe führen wollen. Der habe aber lediglich geantwortet, er wüsste, dass das Buch unterginge. Er habe "Zuhause eh genug Bücher". Deshalb sei ihm das alles "wurscht". Das Buch könne ruhig untergehen.
Über Arno Geigers Roman und seine Figuren zeigen sich die Diskutanten schwer beeindruckt. Vor allem wird sein psychologisches Feingespür und die subtile Darstellungsweise gerühmt.

Programmtext

Im Jahr 2005 erhielt der österreichische Erzähler Arno Geiger den ersten Deutschen Buchpreis zugesprochen. Seitdem haben nicht nur dieser Preis, sondern auch der Roman und sein Autor eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Was Arno Geiger schrieb, auch die Erzählungen und Reportagen seitdem, gehört zum stilistisch Feinsten und auch zum Feinfühligsten, was in deutscher Prosa zur Zeit geschrieben wird. Dazu gehört neben handwerklichem Können auch die besondere Eigenschaft Arno Geigers, aus dem Inneren ganz unterschiedlicher Figuren heraus eine ganze Welt - deren ganz eigene Welt - zu entwerfen, ob es sich um alte oder junge, historische oder gegenwärtige, eher realistisch oder surreal überhöhte, ob es sich um männliche oder weibliche Personen handelt. In Arno Geigers neuem Roman "Alles über Sally" gehört die zarte Genauigkeit der Einfühlung wesentlich einer fest gebundenen Frau über Fünfzig: Sally, verheiratet mit Alfred, entfaltet ein emotionales und erotisches Leben, das sowohl an der Leidenschaftlichkeit der Jugend wie an der der Lebenserfahrung und -einsicht des Alters teilhat. Damit weist Arno Geiger literarisch auch auf eine neue Gestalt des Alterns, der Reife und der Lebenserwartung hin, wie es sie historisch bisher nicht gegeben war. Mit Arno Geiger diskutieren an diesem Abend die Wiener Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl und die Berliner Autorin und Kritikerin Elke Schmitter.

Personen auf dem Podium