Studio LCB mit Julia Franck

12. Juli 2007
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Julia Franck
Gesprächspartner: Kolja Mensing und Edo Reents
Moderation: Maike Albath

Programmtext

Stettin, im Frühjahr 1945: der Krieg ist endlich vorbei. Eigentlich könnte Helene aufatmen. Sie hat sich und ihren siebenjährigen Sohn durch die schweren Jahre gerettet. Und jetzt erwischen sie auch noch einen Zug in Richtung Westen. Ausgerechnet in diesem Moment lässt Helene, die tatkräftige Heldin in Julia Francks neuem Roman "Die Mittagsfrau", bei einem Zwischenstopp ihren Sohn allein auf dem Bahnsteig zurück und verschwindet, ohne je wieder aufzutauchen. Die Schriftstellerin Julia Franck, 1970 in Berlin geboren, mit acht Jahren aus der DDR ausgereist, beschäftigt sich in ihrem fünften Buch mit einer rätselhaften Frauenexistenz und der deutschen Vergangenheit. Nach dem Studium der Altamerikanistik, Germanistik und Philosophie hatte Franck 1997 mit dem Roman "Der neue Koch" debütiert, im Jahr darauf den Roman "Liebediener" über eine Liebe im Berlin der Wendezeit vorgelegt und 2000 den Erzählungsband "Bauchlandung" veröffentlicht. In ihrem letzten Buch "Lagerfeuer" stand die Ausreise aus der DDR im Mittelpunkt. Jetzt geht Julia Franck in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und fängt die private Seite der Zeitläufte ein. Sie liest zum ersten Mal aus ihrem neuen Roman, der im Herbst im S. Fischer Verlag erscheinen wird, und diskutiert mit ihren Generationsgenossen Edo Reents und Kolja Mensing über das Genre des Familienromans, den Umgang mit der Vergangenheit und neue Formen des Erzählens.

 

Weiterführende Informationen

Hauptsächlich wird in dieser Sendung die DDR thematisiert. Entsprechend geht es um die unterschiedlichen Erinnerungen der Mittdreißiger. Julia Franck erzählt, wie sie mit acht Jahren die DDR verließ und erstmal in einem Flüchtlingslager in Schleswig-Holstein landete, was in den Siebzigern durchaus exotische Züge trug, da sich die Flüchtlingsströme gegenüber jenen der fünfziger Jahre stark verringert hatten. Die Erinnerungen der Gäste mit einer westdeutschen Sozialisation sind da andere. Edo Reents sagt, er habe als Kind nie verstanden, warum es eine DDR gab. Und für Kolja Mensing war das alles weit weg. Julia Franck empfindet ihre Erlebnisse heute noch als großes Geschenk, wenngleich sie die Belastungen nicht unterschlägt, die ein solcher Wechsel einer Familie zumutet. Maike Albath fragt auch nach der Nostalgiewelle bezüglich der DDR. Für Reents ist das eher ein Medienphänomen und Julia Franck interessiert das gar nicht, bis auf den Aspekt der Selbstvergewisserung der Leute mit ostdeutscher Vergangenheit. Hier schlägt die Autorin einen Bogen von ihrer eigenen Familiengeschichte, die in dem neuen Roman "Die Mittagsfrau" teilweise mitverwoben wurde, zum fiktionalen Anteil ihres neuen Werks.

Personen auf dem Podium