Zwischen den Generationen - Hommagen (III)

04. Juni 1998
Literarisches Colloquium Berlin

Vortrag: Barbara Honigmann
Gespräch: Manfred Flügge

Weiterführende Informationen

Hierzulande ist Albert Cohen (1895-1981), trotz der Übersetzung von vier Romanen, fast ein Unbekannter. In Frankreich ist er ein Klassiker des 20. Jahrhunderts. „In der frankophonen Welt“, so betont Barbara Honigmann, vergleicht man das Werk des Autors mit „einer Kathedrale“. Das Unbekannte an Cohen - ergo der geringe Wissensstand deutschsprachiger Leser diesbezüglich - ist die Basis für Honigmanns Vortrag. Man muss erst wissen, wie die Beziehung zur Mutter und zum Jüdisch-Sein zum Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich aussah, um den Autor besser einschätzen zu können. In Frankreich gibt es bei Cohen-Lektüren eine geläufige Lesart, die darauf hinausläuft, ihn als psychologischen Autor zu charakterisieren; und eine Lesart, die unter anderem in den Texten jüdische Klageliedformate in einem neuen, 'modernen' Gerüst sieht. Barbara Honigmann gibt also zu verstehen, dass man das Ausmaß des französischen Cohen-Diskurses erst unter differenzierten Bedingungen begreifen kann. Auch im folgenden Gespräch zwischen ihr und Manfred  Flügge werden einige Punkte in der Deutung um Cohens Werk deutlich: Die akkurate Beschreibung der diplomatischen Beamtenwelt, die auch ein Abbild der beruflichen Karriere Cohens gewesen war (Cohen selbst soll sich übrigens nie als Schriftsteller begriffen haben); die Neigung, seine literarischen Texte zu diktieren, was ihm im Ergebnis eine stilistische Nähe zu Stendhal verschafft; die unerhörte Schwierigkeit, die 'Melodie' Cohen’s Texte im Deutschen zu erfassen - und warum die hiesigen Übertragungen bisher daran gescheitert sind.

Programmtext

"Wie gerne möchte ich manchmal in dieses Ghetto zurückkehren..." Albert Cohen von Korfu nach Genf

Barbara Honigmann, als Tochter assimilierter Juden 1949 in Ost-Berlin geboren, zog 1984 mit ihrer Familie nach Straßburg mit seiner aktiven jüdischen Gemeinde auf der „Suche nach einem Minimum an jüdischer Identität in meinem Leben und nach einem Gespräch über Judentum jenseits eines immerwährenden Antisemitismus-Diskurses.“ Sie debütierte 1986 mit dem „Roman von einem Kinde“, ihr Paris-Roman „Eine Liebe aus nichts“ folgte 1991 und zuletzt erschien 1996 „Soharas Reise“ (Rowohlt Berlin) über die Emanzipation einer sephardischen Jüdin aus der orthodoxen Gemeinde Straßburgs.
Albert Cohen wurde 1985 als Sohn einer jüdischen Familie russischer Herkunft in Korfu geboren und bekleidete nach einem Jurastudium wichtige diplomatische Positionen in internationalen Organisationen. Als Schriftsteller wurde er in Deutschland durch seinen Roman „Die Schöne des Herrn“ bekannt. 1954 erschien „Das Buch meiner Mutter“, ein Kultbuch in Frankreich. Albert Cohen starb 1981 in Genf.

Manfred Flügge, geb. 1946, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Roman „Zu spät für Amerika“ (Aufbau Verlag, 1998). Er veröffentlichte 1992 „Die Wiederkehr der Spieler. Der französische Roman nach Sartre“ (Hitzeroth).

Personen auf dem Podium