Zwischen den Generationen - Hommagen (V)

29. September 1998
Literarisches Colloquium Berlin

Danilo Kiš - eine Poetik der Erinnerung
Vortrag: Gila Lustiger
Gesprächspartner: Wilhelm Genazino

Weiterführende Information

Zwei Aspekte zum Werk und Denken des jugoslawischen Schriftstellers Danilo Kiš (1935-1989) bilden den Schwerpunkt in Gila Lustigers Vortrag. Zum einen die Idee der Notwendigkeit des literarischen Schreibens, die Kiš als ein Resultat der historischen Erfahrung der Shoa und des Totalitarismus bezeichnet. Zum anderen die Überzeugung von der öffentlichen Wirkungslosigkeit der Literatur - und dass sich aus dieser verneinenden Haltung die besondere Dynamik des Schreibens ableiten ließe. Gila Lustiger beginnt ihren Essay mit einer Reflexion über den Charakter des Palimpsests, was beide Kernthesen schon ankündigt: Die Überzeugung Kiš’ von der Vergeblichkeit der Existenz und der destruktive Charakter moderner Gesellschaften.

 

Programmtext

Die „Hommagen“ setzen literarische Bezugspunkte zeitgenössischer jüdischer Autoren im deutschsprachigen Raum. Gila Lustiger wurde 1963 in Frankfurt/Main geboren, studierte Germanistik und Komparatistik in Jerusalem und lebt seit 1987 in Paris, wo sie seitdem auch als Lektorin, Übersetzerin (u.a. von Asher Reich) und Journalistin tätig ist. 1995 debütierte sie mit dem Roman „Die Bestandsaufnahme“, 1997 erschien der Roman „Aus einer schönen Welt“ (Aufbau Verlag). Gegenstand ihres Vortrags ist der „Homo poeticus“ Danilo Kiš, der 1989 in Paris verstarb. Kiš wurde 1935 als Sohn einer Montenegrinerin und eines ungarischen Juden in Subotica bei Novi Sad geboren und war als Siebenjähriger Zeuge eines Massakers ungarischer Faschisten an Juden und Serben. Der Auschwitzwaise wuchs zwischen zwei Sprachen und drei Religionen auf. Die eigene Schreckenserfahrung ist all seinen Romanen und Erzählungen eigen, aber in der Reduktion und der Verfremdung der Realien gelingt ihm die Zerstörung dessen, was er den „Automatismus der Wahrnehmung“ nannte. Der Erzähler Wilhelm Genazino – auch er ein Kenner der Werke Danilo Kiš’ – publizierte soeben den Roman „Die Kassiererin“ (Rowohlt Verlag).

Personen auf dem Podium