"Lesen - Spuren": Elke Erb und Ales Rasanau lesen aus ihren Gedichten und Texten

04. November 2003
Stiftung Lyrik Kabinett

Einführung: Urs Engeler
Aufgrund äußerer Umstände konnte Ales Rasanau nicht wie geplant persönlich teilnehmen; Elke Erb liest aus seinen Gedichten.
(Lesung im Lyrik Kabinett, München)

Programmtext

Elke Erb, geb. 1938 in der Eifel; 1949 Übersiedelung in die DDR (Halle); Stu­dium der Germanistik, Geschichte und Pädagogik; seit 1966 freischaf­fende Autorin: Kurzprosa, Lyrik, prozessuale Texte, Übersetzungen (u.a. Ales Rasanau), Nachdichtungen, Herausgaben. 1967 zog sie nach Berlin, wo sie auch heute noch lebt. Ende der 1966er Jahre hielt sie der offiziel­len DDR-Lyrik eine „Neue Lyrik“ entgegen und verließ den „Salon der Sprache“ – seither gibt sie ihrem „Tanz der Gedanken“ (D. Grünbein) mit großem sprachl. Engagement stets neue Wendungen. Elke Erb ist das, was man einen poetischen Geist nennen möchte... Das hermetische LICHT bei ihr, nicht, wie von Rezipienten und der Literatur­kritik meist beklagt, das hermetische DUNKEL. Das hermetische LICHT ist vorherrschend, die aufgeklärte Erleuchtung pflanzt sich fort...  (Friederike Mayröcker). - Auszeichnungen u.a.: Peter-Huchel-Preis (1988); Heinrich-Mann-Preis (1990, zus. mit A. Endler); Erich-Fried-Preis (1995); Norbert C.-Kaser-Preis (1999); F.C.Weiskopf-Preis (1999).  Elke Erb hat bereits im Mai 1991 im Lyrik Kabinett ihre Bände Trost und Kastanienallee vorgestellt.

Ales Rasanau, geb. 1947 in Weißrußland, Philologiestudium in Minsk (aus polit. Gründen religiert) und Brest; arbeitete als Lehrer, Redakteur u. Lektor; veröffentlichte mehr als zehn Gedichtbände (in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt) und machte sich auch als Übersetzer (a.d. litauischen, bulgarischen, georgischen Lyrik) einen Namen. 2001-02 in Hannover (Hannah Arendt Stipendium); 2002/03 „Writer in Residence“ in Graz, wo ihm im Mai 03 der Herder-Preis verliehen wurde. Seine Poeme in Vers u. Prosa, Ver­setten (Prosage­dichte) und Punktierun­gen (den Haikus ähnliche kurze Gedicht), haben die sowjetisch zu Tode tradierte Reimdich­tung souverän verlassen. In seinen unter dem Titel „Gnomische Zeichen“ versammelten Philosophe­men zur Kreativität erweist er sich als eigen­ständiger prakti­zierender Philosoph. Und nicht nur dort. (Elke Erb). – Gedichtbände in dtsch. Übers.: Zeichen vertikaler Zeit (a.d. Weißruss. v. Elke Erb, Berlin 1995), Hannoversche Punktierungen (Nachdichtung: O. Ansull, Hanno­ver 2002); Tanz mit den Schlangen (A.d. Weißruss. v. Elke Erb u. U. Tschapeha; Berlin 2002).

 

Leibhaft lesen

Diese gefügten, gefügigen, Weicheres tragenden
Knochen: lesen.

In Zeilen zerlegter und aufgelegter
Gebinde Aufsammlung ab.

Diese in Bündel gerafften Fasern: entziffern Deute,
eräugen zu eigen.

Diese zehn Zehen im Gehen und Stehen: lesen,laß, daß sie
nachher verwesen.

Elke Erb 25.3.99


(26)  Spuren im Lehm:

Sie verbinden sich untereinander
Mit nichts,
Außer dem Lehm.

Erkennt sich etwa
Jener, der geht,
In seinen Spuren?
Und der, der lebt,
In jenem, als der er lebt?

Und wieder und wieder
Zeichnen sich Spuren
In den ewigen Lehm,
Und trägt sich Lehm
Ein in den nicht-ewigen Menschen.

Ales Rasanau. Aus: „Zeichen vertikaler Zeit“
Aus dem Weißrussischen übertragen von Elke Erb.

Personen auf dem Podium