Studio LCB mit Martin R. Dean

05. März 2003
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Martin R. Dean
Gesprächspartner: Sandra Leis und Thomas Böhm
Moderation: Hubert Winkels

Programmtext

Der 1955 im Aargau geborene, heute in Basel lebende Autor Martin R. Dean kennt die Extreme. So hat er in der eindrucksvollen Gestalt seines "Monsieur Fume" einen poetischen Räsonnierer geschaffen, der in wolkengleichen Bildern und Tagträumen die Melancholie auskostet, die die Überforderung durch die beschleunigte Moderne verursacht. Umgekehrt hat er mit seinen Bonnie & Clyde-Gestalten Billie und Joe, in jener "Ballade", die er ihnen gewidmet hat, in Figuren, Plot und Dramaturgie alle Register von Gefühl und Action gezogen, die wir aus dem großen Kino kennen. Martin R. Dean hat - weit weg von sich - den Erfinder-Star Thomas Alvar Edison in heiklen Zusammenhängen porträtiert und entwirft jetzt - in großer Nähe zu sich selbst - die Skizze "seiner Väter". Das besitzanzeigende Fürwort im Zusammenhang mit dem eigenen Vater ist in jeder Hinsicht problematisch - genetisch ebenso wie fiktionstechnisch. In einer Lesung aus seinem neuen, im Hanser Verlag erschienenen Roman "Meine Väter" und in einem Gespräch mit Sandra Leis (Bern) und Thomas Böhm (Köln) sollen Poetik und Weltbezug eines der wichtigsten Schweizer Autoren der mittleren Generation erhellt werden.

Weiterführende Informationen

Im ersten Teil der Sendung ist die Schweiz das zentrale Thema. Wie stark ist Ihnen bewusst, fragt Hubert Winkels Martin R. Dean zu Beginn, dass Sie es mit einem Schweizer Autor zu tun haben. Diese Frage mutet zunächst absurd an, gerade weil der Autor aus der Schweiz kommt. Wenn man jedoch den Kontext hiesiger Wahrnehmung auf die heutige Literatur aus der Schweiz betrachtet, ist sie es nicht. Denn durch Autoren wie Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt - darauf weist Martin R. Dean hin - habe sich die Vorstellung von einer bestimmten Art Schweizer Literatur in den Köpfen festgesetzt. Dabei gäbe es keinen original Schweizer Stil in der Literatur. Ohnehin werde ein Schweizer Autor, so Martin R. Dean weiter, nur über den Umweg "Deutschland" bekannt, was heißt, dass in Deutschland ein Schriftsteller aus Helvetien besprochen werden muss - um überhaupt "gesehen zu werden". Aber selbst das sei in den letzten Jahren eher schwierig geworden, weil durch die Wiedervereinigung in den deutschen Feuilletons der Fokus auf Themen gelegt worden sei, bei denen man sich mit der eigenen Vergangenheit eher beschäftigte als mit jungen literarischen Stimmen aus dem Nachbarland. "Die Schweiz ist kein notwendiges Thema heute mehr", so Dean abschließend. Im zweiten Teil, nach der Lesung, steht ein anderes Sujet im Mittelpunkt: Es geht um einen im Roman dargestellten Vater-Sohn-Konflikt, der schließlich von den Diskutanten ausführlich behandelt wird. Da ist dann von Kastrationssymbolen die Rede, oder von Männergestalten, die von Frauen geblendet werden. Ergo: Archaische Prinzipien, die auf die heutige Zeit und heutige Verhältnisse übertragen werden.

Personen auf dem Podium