Studio LCB mit Thomas Meinecke

02. Dezember 1997
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Thomas Meinecke
Moderation: Hubert Winkels
Gesprächspartner: Christoph Bartmann, Silvia Bovenschen

Weiterführende Informationen

Auf zwei Aspekte legt Moderator Hubert Winkels in seiner Gesprächsführung besonderen Wert. Einerseits geht es ihm um das Erfassen eines kulturgeschichtlichen Phänomens der jüngeren Zeit - um die Popkultur in der BRD und ihre Entstehungszeit in den späten 70ern. Andererseits diskutiert er mit seinen Gästen über popkulturelle Elemente und deren Einwirken in eine Literatur, die sich größtenteils bis in die 90er Jahre hinein nicht als Teil der Popkultur verstand. Auf Thomas Meinecke bezogen bedeutet das, dass man sich über die Geschichte der Zeitschrift "Mode und Verzweiflung" unterhält, die 1978 gegründet wurde - und man erörtert ausführlich, wie Redakteure eines Literaturmagazins sich in Musiker einer New-Wave-Band verwandeln; eine Band ("Freiwillige Selbstkontrolle"), die noch heute aktiv ist. Wie diese Umstände und Erfahrungen in die literarischen Arbeiten Thomas Meineckes flossen, debattiert man anhand des Romans "Tomboy", in dem sich der Autor u. a. mit einer schillernden und zutiefst gespaltenen literarischen Persönlichkeit aus der Zeit des Wiener Fin de Siecle, Otto Weininger, beschäftigt. Der Charme dieser Studio-LCB-Aufnahme leitet sich allerdings mehr aus den Anekdoten ab, die Meinecke erzählt, als von den literarischen Diskussionen. Z.B. erzählt er, wie man einigen Bandmitgliedern, die ihre Instrumente beherrschten, erstmal beibringen musste, "schlecht zu spielen", um den Fluss und den Flair einer einfach strukturierten Genremusik herzustellen - wie es bei Pop-Punk der Fall ist. Außerdem berichtet er, wie eine Literaturzeitschrift mit den Namen "Mode und Verzweiflung" allein schon vom Titel her in der Jahrzehntwende 70er/80er herum pure "Avantgarde" darstellte, auch weil sie vor den Erfolgen von Lifestyle-Magazinen wie beispielsweise "Tempo" auftauchte und eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte.

Programmtext

Thomas Meinecke, 1955 in Hamburg geboren, lebt heute in der Nähe von München. Nach der längeren Erzählung "Holz" (1988) erlebte Meinecke mit seinem Roman "The Church of John F. Kennedy" (1996) seinen Durchbruch in der literarischen Öffentlichkeit. Der Roman beschreibt die Reise eines deutschen Hobbyhistorikers durch den Süden der Vereinigten Staaten auf den Spuren deutscher Einwanderer. Esprit, Witz und ein gewisser Sarkasmus machten den Roman zu einem intellektuellen Vergnügen. Dasselbe verspricht auch sein neuer Roman mit dem Arbeitstitel "Tomboy" bzw. "Wildfang", der im nächsten Jahr im Suhrkamp Verlag erscheinen wird und aus dem er an diesem Abend liest. Hier widmet sich Thomas Meinecke dem Diskurs der neuen US-Feministinnen, so wie er sich in der Region um Heidelberg und Ludwigshafen in Szene- und Unikreisen niederschlägt. Politik und Sex, Geschichte und Geschlecht, Industrie und Mode, deutsche Landschaft und neueste amerikanische Modetheorie werden motivlich, gedanklich und sprachlich verzahnt. Gesprächspartner sind die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen und der Literaturreferent des Goethe-Institutes Christoph Bartmann.

Personen auf dem Podium