„Über die Flüsse“

20. September 2005
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Georges-Arthur Goldschmidt
Moderation: Jan Bürger

Programmtext

Der in Reinbek bei Hamburg zur Welt gekommene Georges-Arthur Goldschmidt lebt seit seiner Flucht aus Deutschland 1938 in Paris, wo er als französischer Schriftsteller berühmt wurde. Mit der Erzählung „Die Absonderung“ (Vorwort von Peter Handke) legte er 1991 auf spektakuläre Weise erstmals ein Werk in seiner Muttersprache vor. Für seine Erzählungen und Romane wurde er u. a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis und der Goethe-Medaille ausgezeichnet.

Weiterführende Informationen

Georges-Arthur Goldschmidt liest aus seiner umfangreichen Autobiographie die Kapitel „Eine schuldhafte Kindheit“ und „Eine überflüssige Rückkehr“. Zwar liegt es auf der Hand, im Titel des ersten der Kapitel eine Anspielung zu sehen auf die durch deutsche Politik verordnete Schuld, in den 30er Jahren ein jüdisches Kind zu sein. Doch Goldschmidt lässt jenen bürokratischen Charakter kindlichen Schulderlebens in einem subtil gestalteten psychoanalytischen Resonanzraum lediglich mitschwingen und konzentriert sich hier eher auf Episoden des innerfamiliären Schulderlebens, so z. B. auf den tragischen Tod des kleinen Neffen, an dem sich der Autor bis ins Erwachsenenalter die Schuld gab. Die „überflüssige Rückkehr“ ist zunächst eine Reise in die Sprache der Kindheit. 1949 reist der junge Franzose in jenen auch sprachlichen Erinnerungsraum Deutschland, der ihn und das Leid seiner Familie aus dem Gedächtnis gestrichen hat. Omnipräsent sind die Härten des Kriegs und Nachkriegs, Deportationen und Konzentrationslager aber hat es nie gegeben. Stattdessen sehnt man sich in die alten Zeiten zurück. „Ich fühlte meine Herkunft ungehöriger denn je, ich schummelte, ich hätte Rauch sein sollen, ich war fehl am Platz.“

Im anschließenden Gespräch fragt Jan Bürger nach den Unterschieden zwischen dem Französischen und dem Deutschen, Goldschmidt gibt Auskunft über sein Leben in zwei Sprachen. Schnell wird deutlich, dass er Sprache zum einen psychoanalytisch, zum anderen aber immer politisch begreift. Viel erfährt man in diesem Gespräch über den Autor, sein Leben in Paris, seine Familie und nicht zuletzt seine politischen und erinnerungspolitischen Positionen. Eingeleitet aber wird die Veranstaltung von einem erstaunlichen Brief, den Jan Bürger zitiert: Georges-Arthur Goldschmidts Vater schreibt 1942 an den Autor Hans Grimm, dem die Nazis das Schlagwort vom „Volk ohne Raum“ verdanken, und berichtet von der bevorstehenden „Umsiedlung“ nach Theresienstadt. 

Personen auf dem Podium