„Die Frau auf der Treppe“

11. Juni 2015
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Bernhard Schlink
Moderation: Jan Bürger

Programmtext

Sein Vorleser ist eines der 333 Exponate in der neuen Dauerausstellung ["Die Seele" im Literaturmuseum der Moderne]. Am 11. Juni stellt Bernhard Schlink seinen jüngsten Roman vor. Eine spannende und witzige Liebesgeschichte, ausgelöst von einem Kunstwerk, das versteckt, beschädigt und endlich auch ausgestellt wird: Die Frau auf der Treppe.

Weiterführende Informationen

Einleitend weist Jan Bürger darauf hin, dass der ergreifende Roman "Der Vorleser" den namhaften Juristen Bernhard Schlink zu einem international bekannten Schriftsteller gemacht habe. Der Autor habe zudem die Handschrift seines berühmten Buches vor sechs Jahren dem Deutschen Literaturarchiv Marbach gegeben. Ein Hauptgrund solcher literarischer Erfolge sei sicherlich im Stofflichen zu suchen: Mit der Liebe des jungen Michael Berg zur in vielerlei Hinsicht hilflosen Täterin Hanna Schmitz sei Bernhard Schlink damals auf einen großartigen, zugleich verstörenden Stoff gestoßen, vor dem man auch hätte zurückschrecken können, und der dementsprechend viele Leser bis heute irritiere, da er einen wunden Punkt in der deutschen Vergangenheit berühre. Im Kern gehe es ja darum, dass wir einzelne Menschen, von denen wir wissen oder zumindest ahnen, dass sie überzeugte Nationalsozialisten waren, trotz alledem lieben. Für Jan Bürger ist die Form der Darstellung im "Vorleser" ebenso wichtig wie der Inhalt: Hanna Schmitz, die Analphabetin, nehme ja alle Geschichten hörend auf. Sozusagen analog dazu bestehe die Größe von Bernhard Schlinks Roman in der virtuosen Einfachheit des Tons, in der Sprache, die wie zum Vorlesen gemacht sei. Damit sei dem Autor 1995 etwas Verblüffendes gelungen: Ausgerechnet im Schreiben über einzelne Aspekte des Holocaust, im Nachdenken über die deutsche Schuld, habe er für sich selbst und für sein Lesepublikum das schlichte, bewusst einfache, eingängige und zugleich anspruchsvolle Erzählen wiederentdeckt. Jan Bürger betont abschließend, dass das, was die Kunst des richtigen Tonfalls für den "Vorleser" sei, in Bernhard Schlinks jüngstem Buch die Malerei sei.

Im Zentrum von Bernhard Schlinks neuem Roman "Die Frau auf der Treppe" (2014), aus dem der Autor mehrere Passagen liest, steht ein Bild, auf dem eine nackte Frau die Treppe hinab schreitet. Diese Femme fatale namens Irene hat gleich drei Männern den Kopf verdreht: ihrem verlassenen Ehemann, dem vermögenden Geschäftsmann Gundlach, der das Gemälde besitzt; ihrem ehemaligen Liebhaber, dem Maler Schwind, mit dem die Porträtierte durchgebrannt ist; und dem Rechtsanwalt, dem Ich-Erzähler des Romans, dem im erbitterten Streit um die Wahrnehmung der Eigentumsrechte an diesem Bild eine Vermittlerrolle zukommt. Der verliebte Anwalt hilft Irene schließlich beim Diebstahl des Gemäldes. Daraufhin verschwindet sie spurlos. Erst vierzig Jahre später treffen die vier Protagonisten, darunter die inzwischen todkranke Irene, in Australien wieder aufeinander. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die drei Rollenbilder, in die sich Irene nicht drängen lassen wollte: die "Trophäe" oder das "Weibchen" für ihren kapitalistischen Ehemann; die "Muse" oder die personifizierte "Inspiration" für ihren Geliebten, den Künstler; die "bedrohte Prinzessin", die gerettet werden muss, für den verliebten Anwalt.

Im an die Lesung anschließenden Gespräch geht es u. a. um die Protagonistin Irene, um die Konzeption der Romanfiguren und um Bildende Kunst. Das letztlich inspirierende Vorbild für den Roman war ja das reale Gemälde "Ema. Akt auf einer Treppe" (1966) von Gerhard Richter, das in Postkarten-Form auf dem Schreibtisch des Autors präsent ist. Auf die Frage Jan Bürgers das Verhältnis zwischen dem Erzählen und dem Nachdenken als Jurist betreffend antwortet Bernhard Schlink, dass gewisse Themen, die ihn als Rechtsphilosoph interessieren, sich in die Geschichten schleichen würden, wie z. B. das Problem der Schuld der 2. Generation. Bemerkenswerterweise erklärt er auf die Frage einer Zuhörerin reagierend, ob er sich mehr als Schriftsteller oder als Jurist sehe, dass ihn das Schreiben vielleicht etwas glücklicher mache als die Juristerei, aber als "protestantisches Pastorenkind" habe er stets das Gefühl, er dürfe nicht einfach etwas machen, was ihn glücklich mache, sondern auch etwas, was nützlich sei.

Personen auf dem Podium