Liebeslieder - Totentänze: Lyrik aus Österreich

21. April 1995
Stiftung Lyrik Kabinett

Ein Abend mit Evelyn Schlag, Erwin Einzinger, Konstantin Kaiser und Alfred Kolleritsch im Lyrik Kabinett, München
Moderation: Raoul Schrott

Programmtext

Evelyn Schlag, geb. 1952 in Waidfhofen, schreibt Gedichte über die Kunst des Liebens. Sehnsucht ist das Schlüsselwort ihrer beiden Lyrikbande Ortswechsel des Herzens (1989) und Der Schnabelberg (1992), gekontert von der Gefahr des Verlustes. Die Nähe zu einem Du ist stets gefährdet, die Liebe erscheint als wechselhaftes Schicksal. Mittels der Verse will sie sich der Entdeckung von Gefühlen vergewissern, sie für einen Augenblick im Geflecht ihrer sprachlichen Empfindung festhalten. Denn "Gedichte sind Geheimnisse, die / man Fremden anvertraut zugleich / eine Art höherer Poesie letzte Weisheit / wenn sonst alle Briefe verlorengehen".

1955 in Ober-Österreich geboren und auch dort in Micheldorf lebend, begann Erwin Einzinger 1977 mit Gedichten, zuletzt widmete er sich der Lyrik mit dem Fröhlichkeitsbrevier Kleiner Wink in die Richtung, in die jetzt auch das Messer zeigt. Einzinger erweist sich auch hier als Karnevalist des Alltags, der in süffisant-ironischem Unterton mit der Doppelbödigkeit der Wahrnehmung spielt, mit der Ambivalenz der Begriffe und der Suggestivität der Bilder in einer Wirklichkeit, die so trist und gespenstisch erscheint, daß man ihr nur noch mit kindlicher Neugier und Naivität etwas abgewinnen kann. Mit seinen Schnappschüssen und Sprachspielereien versucht er die absurde Ver­bissenheit aufzubrechen, mit der Menschen an Präzision, Ordnung und Planung hängen. "Hoffentlich haben nicht die Träume wieder alle Frühschicht!" heißt es schon im ersten Gedicht.

Vom Elend unserer Tage sprechen die Gedichte von Konstantin Kaiser; sie protokollieren es nicht, sie verweigern sich dem Genre der lyrischen Arbeiterreportage ebenso wie der Aufforderung, Realitätspartikel aneinander zu reihen, oder der aphoristischen Zuspitzung mit dem Ziel des Exempels. Allein schon durch den sprachli­chen Reichtum, den er zu entfalten weiß, gesteht Kaiser den Menschen in seinen Gedichten die Fähigkeit zu, sich trotz ihrer Verlassenheit miteinander zu verständigen. Sie wahren die Spannung zwischen Oben und Unten in einem Land, in dem immer wieder "die Enge über das Offene gesiegt" hat. Sie meiden das Unmittelbare wie das Abstrakte. Gelegentlich benennen sie Illusionen, doch sind sie selbst frei davon. Sie sind auf Mitteilung aus, aber sie verfallen nicht dem Irrglauben, volkstümlich sei, was den Leuten nach dem Maul rede.

Ulrich Weinzierl hat ihn einen "poetischen Zweifler" genannt, Michael Buselmeier "einen fast stummen Kaspar, der nach Worten sucht und den die Fremdheit zu Menschen und Dingen nie verläßt". Michael Klüger sprach von ihm als einem "philosophischen Dichter", und Herbert Wiesner konstatierte, daß seinen Gedichten "ein langes sinnliches Denken vorausgegangen sein muß": Die Rede ist von Alfred Kolleritsch, Lyriker, Prosaist, Mitbegründer und Mentor des Grazer "Forum Stadtpark", seit 1960 Herausgeber der Zeitschrift manuskripte. Seine Gedichte zeugen von der Schwierigkeit, sich der Wirklichkeit zu nähern, sie sinnlich zu erfassen und zu benennen. Sie bewegen sich in dunklen Räumen, offenbaren Gräben, Brüche und Risse. Nur Ruinen und Relikte sind in dieser von Vergänglichkeit gekennzeichneten Welt erkennbar. Die Grundstimmung ist melancholisch, das poetische Ich zeigt sich irritiert und skeptisch. Aber das Memorieren, die Verwandlung der Objekte der Wahrnehmung in Sprache, mindert die Vergänglichkeit und schürt die Hoffnung.

Personen auf dem Podium