„Logis in einem Landhaus“

12. April 2000
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: W. G. Sebald

Programmtext

W. G. Sebald lehrt seit 1970 Neuere deutsche Literatur an der University of East Anglia. So manche seiner Untersuchungen sind, was sich leider nur höchst selten über Abhandlungen von Germanisten sagen läßt, kleine literarische Meisterwerke. W. G. Sebald wurde deshalb schon mit Literaturpreisen ausgezeichnet und von der Literaturkritik mit begeisterten Rezensionen bedacht. Tilman Krause etwa urteilte in der Welt über die Porträts von Gottfried Keller, Eduard Mörike, Robert Walser und anderen Schriftstellern in Sebald Buch Logis in einem Landhaus: "Es gibt wohl gegenwärtig niemanden unter den vorwiegend essayistisch interessierten deutschen Autoren, bei dem sich mit vergleichbarer Mühelosigkeit ein solches Heranströmen von Sinnfälligkeiten einstellt, wenn er sich einem literarischen Gegenstand zuwendet."

Weiterführende Informationen

Im Gegensatz zu der hier ebenfalls nachzuhörenden Lesung aus Logis in einem Landhaus im LCB am 25.11.1997, während der W. G. Sebald seinen Essay zu Gottfried Keller, "Hier kommt der Tod, die Zeit geht hin", liest, trägt er an diesem Marbacher Abend den Robert Walser gewidmeten Essay  "Le promeneur solitaire" vor. Dabei spart Sebald den Beginn des Essays aus, in dem er die enge persönliche Bindung an den schweizerischen Klassiker der Moderne ergründet. Stattdessen nähert er sich Walser mit der Beschreibung und letztlich Vergegenwärtigung von sieben Porträtfotografien des Autors, die doch "von einander sehr verschiedene Menschen" zeigen: den jungen Dandy wie den "vollends zerstörten und zugleich geretteten Anstaltspatienten". Diese Annäherung an Wesen und Werk Robert Walsers mündet schließlich in der Betrachtung seiner oft extravaganten, am Ende aber immer nachlässiger werdenden Kleidung, die gleichzeitig Sebalds Einstieg in die Texte bedeutet. So tastet er sich in Walsers Romane und sein "Bleistiftgebiet" vor, begegnet Gogol und beleuchtet einzelne Motivfelder und Verdichtungen von Person und Werk, z. B. über die Frage nach der Erinnerung oder den Emotionen, um gegen Ende doch von den Anfängen seiner Walser-Lektüre zu berichten. Zu diesen gehöre auch der Kauf einer Biographie Gottfried Kellers, in der Sebald eingelegt ein Foto gefunden habe, das in Sepiatönen das Haus auf der Aare-Insel zeigte, in dem Kleist mehrere Monate 1802 verbrachte. Langsam habe Sebald seitdem zu begreifen gelernt, wie "über den Raum und die Zeiten hinweg alles miteinander verbunden" sei, sogar "das Echo eines Pistolenschusses über dem Wannsee mit dem Blick aus einem Fenster der Heilanstalt in Herisau", letztlich auch "die Spaziergänge Walsers mit meinen eigenen Ausflügen". W. G. Sebald versteht es in diesem Essay, solche Verbindungen durch die Ausflüge in Walsers Sprache und die ihrer Vorgänger sinnfällig werden zu lassen.

Personen auf dem Podium