Studio LCB mit Dževad Karahasan

24. Oktober 2005
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Dževad Karahasan
Gesprächspartner: Lothar Müller und Ilma Rakusa
Moderation: Maike Albath

Programmtext

Kosmopolit, Orientale, Mitteleuropäer, fabulierender Erzähler, Kenner der islamischen Mystik, Theatermann, Literaturdozent – der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan ist nicht auf eine Eigenschaft festzulegen. Spannungsreiche Gegensätze sind sein Lebenselixier. Als Sohn einer gläubigen Muslimin und eines überzeugten Kommunisten 1953 im bosnisch-herzegowinischen Duvno geboren, prägt die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Welten seit jeher seine Wahrnehmung. Jahrzehntelang war Karahasan in Sarajewo zu Hause, und in seinem arabeskenreichen Roman „Der östliche Diwan” (1993) wandte er sich der Frühzeit des Islams zu und spürte den geistigen Wurzeln seiner Heimatstadt nach. Das, was er für seine Wirklichkeit gehalten hatte, wurde durch den Ausbruch des Balkankrieges zerstört. Karahasan blieb in der eingekesselten Stadt, schrieb Zeitungsartikel über die ersten serbischen Bombardierungen, half in Lazaretten und inszenierte Theaterstücke, bis er 1993 nach Deutschland floh, um von dort nach Österreich überzusiedeln. Den Beschädigungen kam Karahasan literarisch bei: mit seinem „Tagebuch einer Aussiedlung” (1993), das den beginnenden Krieg eindrucksvoll dokumentierte, sowie mit den Romanen „Schahrijars Ring” (1997) und „Sara und Serafina” (2000). Im kommenden Frühjahr bringt Karahasan, der heute in Graz und Sarajewo lebt, im Insel Verlag einen neuen Roman heraus, aus dem er im Studio LCB erstmals lesen wird. Die Schriftstellerin Ilma Rakusa und der Literaturredakteur der Süddeutschen Zeitung Lothar Müller diskutieren mit Dževad Karahasan über seine literarische Arbeit, den Balkan und die Verbindungen zwischen Orient und Okzident.

 

Weiterführende Informationen

Dževad Karahasan vergleicht Sarajewo einmal mit einem Dreieck, ein anderes Mal mit einer Kneipe, was ziemlich kryptisch klingt. Aber was der bosnische Schriftsteller damit zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass selbst für seine Einwohner die Stadt real wie irreal zugleich erscheint. Sie ist also ein Phänomen, was man schwer zu fassen bekommt, was natürlich unmittelbar mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg zusammenhängt. In der Sendung beschäftigen sich die Teilnehmer dann auch hauptsächlich mit dessen Hinterlassenschaft. Lothar Müller sagt einmal, durch Karahans Bücher lerne man, dass es eine Illusion sei, die Kultur als eine Sphäre des Ausgleichs zu begreifen. Der Bosnier erzählt von seinen männlichen Studenten, die den Krieg entweder direkt erlebt haben oder ins Exil flüchten konnten – und warum er stolz ist, ein Balkanese zu sein. Warum der Roman „Der nächtliche Rat“, aus dem Karahasan liest, Maike Albath an Edgar Allen Poe denken ließ und Lothar Müller an Stephen King erinnerte, wird auch beantwortet.

Personen auf dem Podium