Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 5: Ankündigungen oder ‚Mehr nicht erschienen’“

28. September 1997
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Zur Eröffnung sprechen: Ulrich Ott, Henning Ritter, Friedrich Pfäfflin

Sobald alle Rechtsinhaber zugestimmt haben, wird diese Veranstaltung vollständig nachzuhören sein.

Programmtext

Neue Folge der Ausstellungsreihe ‚Vom Schreiben‘
Sonntag, 28. September 1997, 11 Uhr,
Eröffnung der Kabinett-Ausstellung: Vom Schreiben 5: Ankündigungen oder „Mehr nicht erschienen“. Bearbeitet von Friedrich Pfäfflin
Dazu erscheint das ‚Marbacher Magazin‘ 80/1997. Bis 30. November 1997, tgl. 9 bis 17 Uhr

Die Geschichte der Literatur ist voll von Geschichten über Bücher, die nicht erschienen sind: Schillers Fortsetzung der ‚Räuber‘ blieb über zwanzig Jahre ein Vorhaben des Autors; Kleists Roman ist verschollen; die ‚Comedie humaine an Irren‘, von Elias Canetti auf acht Bände angelegt, ist nie erschienen. Torsi blieben Thomas Manns ‚Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‘ wie der ‚Mann ohne Eigenschaften‘ oder Brochs ‚Bergroman‘. Von Tragödien und Komödien im Leben der Autoren ist zu berichten; von Manuskripten, die aus der Zeit fallen, und von genau beschriebenen Buchprojekten, die eine Fiktion blieben.

Weiterführende Informationen

Die fünfte Kabinett-Ausstellung der Reihe „Vom Schreiben“ ist den nicht eingelösten Versprechungen in der Welt der Literatur gewidmet. So enden viele Buchprojekte bereits im ideenreichen Kopf des Autors, als Bruchstücke oder eben unmittelbar nach ihrer Vorankündigung in der Verlagsvorschau.
Ulrich Ott erklärt zu Beginn der Ausstellungseröffnung, dass es innerhalb der Reihe „Vom Schreiben“ die Regel gewesen sei, dass sich der jeweilige Ausstellungsmacher mit einem Autor zusammengetan habe, um das Thema zeigend, beschreibend und essayistisch ergründend auszuloten. Henning Ritter habe sich mit seinem (das „Marbacher Magazin“ 80/1997) einleitenden Essay in ein „Kafka'sches und kafkaeskes Rollenspiel“ begeben. Und so seien er und Franz Kafka, als berühmter Vertreter des Fragmentarischen, die beiden Autoren, die diese Ausstellung begleiten würden.

Anlässlich der Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 5: Ankündigungen oder ‚Mehr nicht erschienen‘“ im Schiller-Nationalmuseum liest Henning Ritter seinen Essay mit dem Titel „Brief des Vaters“. Franz Kafkas im Original über hundert Seiten langer „Brief an den Vater“, der 1919 verfasst wurde und seinen Adressaten, nämlich Hermann Kafka, nie erreichte, gilt als autobiographisches Dokument und literarisches Werk zugleich. Die gedanklichen und rhetorischen Zuspitzungen in Kafkas „Brief“ machen deutlich, dass es sich dabei zum einen um eine bittere Anklageschrift handelt, die gegen den gestrengen Vater gerichtet ist, und zum anderen, dass sich der Sohn darin einer genauen, durchaus auch bloßstellenden Selbstanalyse unterzieht. Henning Ritter beleuchtet das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis in seinem Essay aus der Perspektive des Adressaten. Interessant ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Furcht“. Franz Kafka bezeichnet seinen „Brief“ bekanntermaßen zu Anfang als Versuch einer schriftlichen Antwort auf die kürzlich gestellte Frage des Vaters, weshalb er, der Sohn, behaupte, dass er Furcht vor ihm habe. Henning Ritter schildert die Reaktion des (fiktiven, also nicht historischen) Vaters folgendermaßen: Dieser habe sich „wie entwaffnet“ und „gelähmt“ gefühlt, als er im ersten Absatz des Briefes, den er zufällig in der Schublade des Esszimmertisches gefunden hatte, gleich vier Mal hintereinander das Wort „Furcht“ gelesen habe. Die Furcht des Sohnes mache ihn „zu einem gefährlichen Gegner“, der aus der vermeintlichen Unterlegenheit entscheidende Vorteile zu ziehen wusste. Schon mit den ersten Sätzen habe der Sohn den Kampf zu seinen Gunsten entschieden: „Aus dem Gefürchteten wurde der Fürchtende, den Gefürchteten lehrte er das Fürchten.“

Personen auf dem Podium