Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 6: Aus der Hand oder Was mit den Büchern geschieht“

07. November 1999
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Zur Eröffnung sprechen: Ulrich Ott, Eberhard Lämmert, Detlef Opitz, Reinhard Tgahrt

Programmtext

In Weimar und Marbach: ‚Vom Schreiben 6‘

Donnerstag, 23. September, 17 Uhr
Eröffnung der Ausstellung
Vom Schreiben 6: Aus der Hand oder Was mit den Büchern geschieht
im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums Weimar. Bearbeitet von Reinhard Tgahrt und Helmuth Mojem. Dazu erscheint das ‚Marbacher Magazin‘ 88/1999. (Bis 28. Oktober 1999, tgl. von 9–19 Uhr)

Sonntag, 7. November, 11 Uhr
Eröffnung der Ausstellung im Kabinett des Schiller-Nationalmuseums
(Bis 9. Januar 2000, tgl. 9–17 Uhr, außer am 25. und 26.12., sowie den Nachmittagen des 24. und 31.12.)

Was zeigt diese Ausstellung vom Weg und Schicksal einzelner Bücher? Der Autor, sobald er sein vollendetes Werk zum Druck aus der Hand gegeben hat, gewöhnlich in die Obhut eines Verlegers, trägt gemeinsam mit diesem Vorsorge für die Aufnahme und Verbreitung im Publikum: durch Vorworte, Ankündigungen, Anzeigen, andere Manöver, auch durch Widmungen und exklusive Zueignungen. Fortan freilich ist sein Buch ebenso unvorhersehbaren Zufällen ausgeliefert: Zensureingriffen, skrupelloser Ausbeutung durch Nachdruck, der Konkurrenz von Nachahmern und sogar Fälschern, der Konfiskation, der Vernichtung. Was der Autor selber noch mit ihm vor hat, wird sichtbar in Handexemplaren mit Korrekturen für eine neue verbesserte Auflage und Vorbereitungen für eine Ausgabe letzter Hand. Die ausgewählten Stücke stammen zumeist von den großen Autoren des 18. bis 20. Jahrhunderts (von Wieland, Goethe, Hölderlin bis zu Benn und Celan), manchmal von entlegeneren (mit überraschenden oder kuriosen Funden).

Weiterführende Informationen

Die sechste und damit auch letzte Kabinett-Ausstellung der Reihe „Vom Schreiben“ im Schiller-Nationalmuseum zeigte, was mit Büchern geschieht, wenn der Autor sie der Öffentlichkeit übergibt. Eberhard Lämmert spricht einleitend von der „unberechenbaren Macht“, die ein Dichterwort entfalten könne. Es handle sich dabei um eine „heilsame“ und unter Umständen auch um eine „gefährliche Macht, eine Macht, die dem Schreiben von fiktionaler Literatur bis hinein und selbst noch in der Zeit der grassierenden Massenmedien eine eigentümliche Aura“ verleihe. Schon Goethe habe gewusst, dass „vom Produktiven niemand Herr ist“. Dies gebe auch dem Geschriebenen eine merkwürdige Eigendynamik, und so gehe in Dichterworte tatsächlich nicht selten weit mehr ein, als der Dichter selbst ihnen habe mitgeben wollen. Die Ausstellung „Vom Schreiben 6“ handle davon, so Eberhard Lämmert, wie sich Bücher und wem sie sich präsentieren, welche Leser sie gewinnen und welche sie womöglich auch gar ausschließen wollen (oder welche Zensur das für sie besorgt). Und schließlich zeige sie auch Bücher, die ganz unverhofft und anders ins literarische Leben eingreifen, als der Autor irgend erwarten konnte.

Anlässlich der Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 6: Aus der Hand oder Was mit den Büchern geschieht“ liest Detlef Opitz seinen Essay mit dem sprechenden Titel „Schicksale Scheusale Labsale – Bücher“. Er erzählt darin anekdotenhaft von seinen eigenen Erfahrungen mit Büchern. Beispielsweise diente dem leidenschaftlichen Pokerspieler Detlef Opitz einst die eigene Privatbibliothek als Einsatz. Er verlor und musste daraufhin seine geliebte Büchersammlung einpacken – und sie damit aus der Hand geben.

Die Kabinett-Ausstellung „Vom Schreiben 6“ präsentierte Bücher aus drei Jahrhunderten von Autoren verschiedenen Ranges. Reinhard Tgahrt verweist in seiner abschließenden Rede auf die deutlichen Gebrauchsspuren, die Bücher mit sich tragen, darunter zum Beispiel die bekannten Eselsohren, Kaffeeflecken, Markierungen oder Kritzeleien. Geschuldet seien diese der unachtsamen Rohheit ihres Besitzers oder auch der systematischen Deformation durch Bibliothekare. Die Gebrauchsspuren hielten etwas von der Geschichte des jeweiligen Exemplars fest, das man in den Händen halte. So erinnere man sich etwa an Lektüreerfahrungen seit Kindertagen. Reinhard Tgahrt bezeichnet diese Bücher als „Reliquien einer bloß privaten Lebensgeschichte“. Entdecke man hingegen Lesespuren in Autorenbibliotheken, so würden diese stets zu literarhistorischen Ereignissen. Paul Celan habe beispielsweise in seinen Büchern immer das jeweilige Datum der Erwerbung festgehalten und seine Übersetzungen interlinear in einen fremdsprachigen Band eingetragen. Widmungen und Exlibris, die davon zeugen, dass Bücher von Hand zu Hand gehen, sind deutliche Provenienzspuren. Zum Beiwerk von Büchern zählen Autorenporträts, Vorreden, Motti oder auch zum Beispiel der lose Zettel als Gebrauchsanleitung in Hans Magnus Enzensbergers erstem Gedichtband „Verteidigung der Wölfe“. Die wohl berühmteste handschriftliche Widmung „Wem sonst als Dir.“ – ein eingeklebtes Blatt zwischen den beiden Bänden des „Hyperion“ – stammt von Friedrich Hölderlin und war nur für Susette Gontard bestimmt. Limitierte Buchausgaben sind laut Reinhard Tgahrt Ausdruck eines „Kults der Exklusivität oder der kleinen Zahl“ unter Sammlern und Bibliophilen. Handexemplare von Autoren mit Korrekturen und Ergänzungen, also Bücher mit Arbeitsspuren, sowie Ausgaben letzter Hand waren ebenfalls Gegenstand dieser Ausstellung.

Personen auf dem Podium