Literarischer Club

23. Mai 1997
Literarisches Colloquium Berlin

Gesprächsteilnehmer: Martin Lüdke, Beate Pinkerneil, Mathias Schreiber und Gustav Seibt

Weiterführende Information

In dieser Sendung ragen zwei Aspekte aus den Diskussionen hervor, die in den literarischen Diskursen der 90er Jahre zu den Schwerpunkten gehörten. Zum einen die Rolle der Ästhetik beziehungsweise der Künste in hochtechnisierten Demokratien am Ende des 20. Jahrhunderts - was am Fallbeispiel Botho Strauß erläutert wird. Zum anderen das alte Verhältnis (oder Missverhältnis) zwischen Religion, Politik und Kunst in der Literatur der Postmoderne - wofür mehrmals Peter Handke die Munition liefert. Demgemäß erklärt Gustav Seibt, warum er zähneknirschend am Ende seines Leserelebnisses von Handkes Roman "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" zugeben musste, dass der Text Meisterschaft demonstriere. Solches Lob kann jedoch nicht kaschieren, dass sich Seibt und die anderen Teilnehmer größtenteils in der "scientologistischen", mystischen Atmosphäre von Handkes Fiktion unwohl gefühlt haben - und dem „christologischen“ Unterbau des Romans Skepsis entgegenbringen.
Bei der Diskussion um Botho Strauß' „Die Fehler des Kopisten“ befremdet die Rezensenten der radikale Ekel des Autors vor den kulturellen Verhältnissen hierzulande. Gustav Seibt destilliert Strauß' Weltbild schließlich auf die Formel, dass Autokratien und Ästhetik sich gegenseitig befruchten, dagegen moderne Demokratien „schlechte Ästheten“ produzieren. Und er ergänzt, dass „Tragische“ an Strauß sei, dass er als Meinungsmacher interessant und „ideologisch anregend“ sei, als Dichter aber eher „flau und quallig“ daherkomme.
Bei Peter Høegs Roman „Die Frau und der Affe“ konstatiert man passagenweise Schwächen, viele Stellen seien aber stark. Marianne Hoffmanns Buch „Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu“ wird ausdrücklich als gelungene Beschreibung des harten „Bauernlebens“ gelobt. Stilkritisch betrachtet würde der Text dann ein wenig an Substanz verlieren.

Programmtext

Vier Neuerscheinungen im Urteil der Literaturkritik: Peter Handke: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus (Suhrkamp Verlag); Botho Strauß: Die Fehler des Kopisten (Hanser Verlag); Peter Høeg: Die Frau und der Affe, aus dem Dänischen von Monika Wesemann (Hanser Verlag), Marianne Hofmann: Es glühen die Menschen, die Pferde, das Heu (Insel Verlag). Die Diskussionsteilnehmer: Mathias Schreiber (Der Spiegel, Hamburg), Gustav Seibt (Berliner Zeitung), Martin Lüdke (SWF, Mainz) und die Gesprächsleiterin Beate Pinkerneil (ZDF, Mainz).

Personen auf dem Podium