Studio LCB mit Birk Meinhardt und Torsten Schulz
22. Mai 2013
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Birk Meinhardt und Torsten Schulz
Gesprächspartner: Jens Bisky
Moderation: Hubert Winkels
Programmtext
Über die DDR als "abgeschlossenes Sammelgebiet" wird gelegentlich in zeitgeschichtlichen Diskussionszusammenhängen gewitzelt. Abgesehen davon, dass es für die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland nicht zutrifft, trifft es für die Literatur, zumal die anspruchsvolle erzählende Literatur, erst recht nicht zu. In den letzten Wochen sind zwei vielbeachtete Romane erschienen, die auf neue Weise vor allem das Alltagsleben in der DDR zum Gegenstand haben; zufälligerweise in beiden Fällen das Alltagsleben um und ab 1976. In Birk Meinhardts Roman "Brüder und Schwestern" steht die Familie Werchow aus dem fiktiven Ort Gerberstedt im Zentrum. Willy Werchow ist Direktor einer großen SED-eigenen Druckerei in der thüringischen Provinz. Zähneknirschend fügt er sich den Vorgaben der Partei und geht dabei mehr und mehr Kompromisse ein. Mit seiner Frau und den drei Kindern gerät er in einen Strudel von Konflikten. Ob durch die Zwänge des politischen Systems der DDR, ob durch persönliche Fehltritte – die Familie droht auseinanderzubrechen. Die ungleichen Ängste, Hoffnungen und Träume der Werchows kulminieren in den Ereignissen von 1989. Daneben steht – und dies in jedem Sinne – der Underdog "Nilowsky" von Torsten Schulz. Der Heranwachsende macht sich einen eigenen, oft abergläubisch-magischen Reim auf die Vorgänge rund um die Kneipe seines Vaters, des Chemiewerks und der Baracken der ausländischen Arbeiter aus Mozambique. Turbulent geht es zu, zu bunt oft für den vierzehnjährigen Erzähler Markus Bäcker, der versucht mitzuhalten. Am Ende des Romans, der Zeitraffer ist in Betrieb, führt der Weg sogar in die Nachwendezeit. Die in den späten fünfziger Jahren geborenen Generationsgenossen Birk Meinhardt und Torsten Schulz lesen aus und diskutieren mit dem Kulturkorrespondenten der SZ Jens Bisky über ihre Romane.
Weiterführende Informationen
Dies ist eine Veranstaltung, in der es um die DDR in den 70er Jahren geht, gleichwohl beide Autoren betonen, dass sie nicht geplant hatten, Romane über die DDR zu schreiben. Es sei ihnen vor allem wichtig gewesen, die sozialen und individuellen Komplikationen in der frühen Phase des Erwachsenwerdens zu beschreiben und ein Porträt der Pubertät im späten 20. Jahrhundert zu verfassen. Diese artistische Antriebskraft prägt die Gespräche und Lesungen derart stark, dass der beinahe abwegige Eindruck entsteht, beide literarischen Werke gestünden dem ehemals real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden nur eine Rolle am Rand zu. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Biermann-Ausbürgerung im Jahre 1977 ist beispielsweise historischer Dreh- und Angelpunkt in Birk Meinhardts Roman "Brüder und Schwestern".