Studio LCB mit Christian Lehnert
04. April 2017
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Christian Lehnert
Im Gespräch: Sibylle Lewitscharoff und Bruno Preisendörfer
Moderation: Maike Albath
Programmtext
Was hat es mit den Formen eines Gottesdienstes auf sich, was bedeuten Kyrie, Gloria, Glaubensbekenntnis und Abendmahl? In seinem neuen Buch kreist der Dichter und Theologe Christian Lehnert um die kultischen Handlungen des Christentums: „Der Gott in einer Nuß“ lautet der Titel seiner Notate, die kürzlich bei Suhrkamp erschienen sind und die er „fliegende Blätter“ nennt. Diese ungewöhnliche Gattungsbezeichnung umfasst autobiographische Splitter, kurze Erzählungen und theoretische Reflexionen ebenso wie Naturbilder und die Schilderungen mystischer Erfahrungen. Seit seinem Debüt mit dem Lyrikband „Der gefesselte Sänger“ (1997) hat Christian Lehnert, 1969 in Dresden geboren und mittlerweile Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts an der Universität Leipzig, sechs Gedichtzyklen und einen Essay über Paulus vorgelegt. Auch Libretti, wie „Phaedra“ für Hans Werner Henze, gehören zu seinem Werk. Fünfhundert Jahre nach der Reformation unternimmt auch der Schriftsteller Bruno Preisendörfer in seinem Buch „Als unser Deutsch erfunden wurde“ eine Reise in die Lutherzeit. Über kulturgeschichtliche Prägungen und den Zusammenhang von Sprache und Mystik diskutieren Christian Lehnert und Bruno Preisendörfer im Studio LCB mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff.
Weiterführende Information
Zielstrebig befragt Maike Albath im einführenden Gespräch die Gäste zu ihrer "kirchlichen Sozialisation", die sich als sehr verschiedenartig herausstellt. Christian Lehnert weist gleich zu auf die Verwandtschaft zwischen Liturgie und Theater hin, wodurch eine angeregte Diskussion mit dem "Ex-Katholiken" Preisendörfer entsteht. Sibylle Lewitscharoff lobt dagegen das "fabelhafte" neue Buch Lehnerts, an dem sie besonders die offene Auseinandersetzung mit dem modernen Gottesdienst zwischen "Erleuchtung und Langeweile" schätzt. Nach einem kurzen Gespräch über Bruno Preisendörfers "Reise in die Lutherzeit" gibt Christian Lehnert über sein Luther-Bild Auskunft und bekennt, dass er die "Erdung der Seele" durch den wöchentlichen Gottesdienst in seiner Zeit als Pfarrer gelegentlich vermisst.
Nach der ersten Lesung aus dem Buch wird darüber gesprochen, wie Lehnert "Hardcore"-Theologie (Lewitscharoff) mit erzählerischer Leichtigkeit verbindet. An der Figur des Hiob entzündet sich eine Debatte über die Gottesauffassungen der Gäste; Christian Lehnert wird an ihrem Ende feststellen, dass Gott mit Sicherheit "gemacht" werde, das "Gemachte" aber immer unzureichend bleibe. Maike Albath lenkt das Gespräch auf den Zeitbegriff des Buches, der sich für den Lyriker Lehnert vor allem aus der Gedichtform ergibt, die immer "mit einem Bein" außerhalb der Zeit stehe. Das Schreiben von Gedichten sei eine eigene "Existenzweise". Nachdem die Figur des Judas angesprochen wird, entspinnt sich neuerlich eine Diskussion; Bruno Preisendörfer lehnt die antike "Opferlogik" des Christentums ab, während Sibylle Lewitscharoff sie mit Blick auf das jesuanische Opfer als eine Neuerung verteidigt. Zur Einleitung der zweiten Lesung spricht Lehnert noch über die Bewegung der Sprache um den "glühenden Krater" im Herzen aller Gottessuche, durch die sie erst ihre Wahrheit gewinne. Religion sei deshalb keine Ideologie, weil Gott für die Gläubigen letztlich "unverfügbar" bleibe.
Nach der Lesung wird über die Feier des Abendmahls und ihre Interpretation gesprochen, über Fundamentalismus und die Institution der Kirche. Christian Lehnert führt aus, ein radikaler Glaube müsse nicht fundamentalistisch sein, und begegnet damit einem Argument Bruno Preisendörfers. Zum Abschluss spricht der Autor über die Vorzüge des Denkens in Analogien und über die christliche Mystik.