Studio LCB mit Ernst-Wilhelm Händler
18. Juni 1997
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Ernst-Wilhelm Händler
Moderation: Hubert Winkels
Gesprächspartner: Harald Hartung, Lutz Hagestedt
Weiterführende Informationen
Zwei diskursive Strömungen vernimmt man in dieser Aufnahme eines Studio-LCB aus dem Sommer 1997. Zunächst erörtern die Teilnehmer den Grundriss einer Phänomenologie des Unternehmers als Literaten, denn Ernst-Wilhelm Händler ist verantwortlich für eine Produktionsstätte, die elektrische Hilfsgeräte (Relais, Schaltschränke) herstellt. Die Kombination Firmenchef plus Schriftsteller ist jedoch in der Literaturgeschichte der letzten 100 Jahre keine Seltenheit - man verweist auf Hermann Broch und Italo Svevo. Dann nehmen strukturelle Besonderheiten in Händlers Roman "Der Fall" die Gesprächspartner in Anspruch. Man empfindet es als riskant, dass der Autor bekannte Figuren aus anderen Romanen - wie z.B. Gambetti und Murau aus Thomas Bernhards "Auslöschung" - in seine eigene Roman-Handlung einbaut und dort weiter entwickelt. Bei allen Vorbehalten gegenüber solchen motivischen Verarbeitungen bewundert man aber die Machart des Textes und charakterisiert sie als "Fiktion in der Fiktion", wenn auch eine gewisse Kühle und emotionale Distanz dabei beklagt wird.
Programmtext
Der Roman "Kongreß" des oberpfälzer Unternehmers Ernst-Wilhelm Händler war eines der meistdiskutierten deutschsprachigen Bücher des vergangenen Jahres. Es steht quer zu allen gängigen Schreibweisen. Die pointierte Darstellung des Wissenschaftsbetriebs grenzt ans Parodistische, verweigert aber konsequent die Überschreitung ins Komische. Dabei entsteht ein spröder, kalter Text, aus dem im zweiten Teil des Romans formal wie inhaltlich Konsequenzen gezogen werden. Ein grausamer Familienmord rückt ins Zentrum des Geschehens. Und von diesem Verbrechen aus beginnen sich alle Fragen, auch die wissenstheoretischen und ethischen des ersten Teils, zu erklären. Eine verstörende Leseerfahrung: so war sich die Kritik einig, aber ein solch ungewöhnlicher und neuer Ton in der Gegenwartsliteratur, daß man den Roman "Fall", der in diesem Herbst ebenfalls in der Frankfurter Verlagsanstalt erscheinen wird, mit großer Spannung erwartet. Ernst-Wilhelm Händler liest aus seinem neuen Manuskript und diskutiert mit dem Germanisten und Lyriker Harald Hartung sowie dem Frankfurter Literaturkritiker Lutz Hagestedt.