Studio LCB mit Hans Joachim Schädlich
23. Oktober 1990
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Hans Joachim Schädlich
Moderation: Hajo Steinert
weitere Gäste: Jürgen Becker, Günter Kunert
Programmtext
Eine neue Reihe - eine alte Tradition: "Studio LCB". Unter diesem Titel werden künftig einmal im Monat Autoren aus bislang unveröffentlichten Manuskripten lesen. Anschließend sprechen Schriftstellerkollegen, Kritiker und Weggefährten mit dem Autor über den Text und übergreifende literarische und politische Themen. Der Deutschlandfunk, mit dem das LCB diese Reihe gemeinsam veranstaltet, wird die Abende an jedem ersten Samstag im Monat von 20.05 bis 22.00 Uhr in seinem Programm übertragen.
Zum Auftakt der Reihe kommen am 23. Oktober Hans Joachim Schädlich und als Gesprächspartner Jürgen Becker und Günter Kunert ins LCB.
Fortgesetzt wird die Reihe in den kommenden Monaten mit Lesungen von Martin Walser, Friedrich Dürrenmatt, Peter Bichsel, später dann auch von Brigitte Kronauer, Ernst Jandl, HC Artmann und anderen.
Weiterführende Informationen
In der Aufnahme der allerersten Studio-LCB-Sendung setzt sich Hajo Steinert mit seinen Gästen mit drei Themen auseinander. Die Kubakrise und die Spiegel-Affaire werden erörtert, weil beide Ereignisse im Herbst 1962 die erste Tagung der Gruppe 47 im LCB nicht nur beeinflussten, sondern bestimmten. Die DDR und ihr prekäres Verhältnis zu Schriftstellern und Intellektuellen bildet den anderen großen Gesprächsblock. Fragen, wie zum Beispiel, ob Zensur für die Literatur förderlich oder gar nützlich sei, werden gestellt. Oder: Steckt in der Bezeichnung "DDR-Schriftsteller" nicht eine Abwertung? Zuletzt wird hier die aktuelle Situation des neuen, wiedervereinigten Deutschland - zwei Wochen nach dem 3. Oktober - beleuchtet. Dazwischen steht natürlich der Text von Schädlich im Mittelpunkt. Der absichtlich "serielle" Charakter des Textes von Hans Joachim Schädlich - es handelt sich um ein Manuskript, aus dem später der Roman "Schott" wurde (1992 bei Rowohlt publiziert) - bereitet den Gesprächspartnern leichte Schwierigkeiten beim Interpretieren (Kunert meint sogar, er könne den Text gar nicht deuten). Eine Anmerkung dazu: 20 Jahre später charakterisierte Herta Müller "Schott" folgendermaßen: "Schotts fiktionale Existenz durchbricht konventionelle Erzählmuster, alles wirbelt durcheinander, alles ist möglich.". Jürgen Becker liest noch ein langes, von ihm als "Herbstgedicht" bezeichnetes Poem.
(Im Programmtext wird u.a. Friedrich Dürrenmatt für eine der nächsten Sendungen angekündigt. Der berühmte schweizerische Dramatiker war aber zu dem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt und verstarb am 14. Dezember 1990.)