Studio LCB mit Hans Joachim Schädlich

22. August 1995
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Hans Joachim Schädlich
Moderation: Hajo Steinert
Gesprächspartner: Wilhelm Genazino, Paul Ingendaay

Sobald alle Rechtsinhaber zugestimmt haben, wird diese Veranstaltung vollständig nachzuhören sein.

Weiterführende Informationen

Hans Joachim Schädlichs Erzählung "Mal hören, was noch kommt" thematisiert das Sterben aus der Perspektive eines im Endstadium des körperlichen Verfalls steckenden Ich-Erzählers. Dabei überschneiden sich in diesem Text realistische und phantastische Elemente: Man verfolgt das Siechtum mit seinen sozialen Folgen (der Ekel des Pflegepersonals, der ausbleibende Besuch von Freunden und Angehörigen). Und man sieht eine Fliege, die sich von den Ausscheidungen des Protagonisten ernährt und der einzige Gesprächspartner des Sterbenden ist. Wie interpretiert man einen solchen Text? Genazino sieht darin eine "Ironisierung des Sterbens selbst". Er erläutert, dass es "eine Vorstellung" von einem "verbindlichen Text zum eigenen Tod" gebe, die Schädlichs Erzählung ad absurdum führe. Überhaupt sieht er in beiden Figuren (Schädlichs Buch "Mal hören, was noch kommt" erschien 1995 und versammelte zwei etwa gleich lange Erzählungen). Ähnlichkeiten gebe es mit der Hauptfigur in Flauberts berühmter Erzählung "Ein schlichtes Herz": "Vordergründig gesehen" spräche in Flauberts Text eine "sehr schlichte Frau" , Schädlichs Figuren seien ebenso " vordergründig schlicht". Der Kritiker der FAZ Paul Ingendaay sieht Parallelen zu Samuel Becketts Roman "Molloy" und fragt deshalb auch zu Beginn seiner Deutung: "Was wirkt an diesem Text permanent komisch?". Ingendaay beschreibt, wie es Schädlich gelänge, Motive wie z. B. die Fliege so abstrus zu behandeln, dass sie einfach komisch wirken müssten. Im letzten Teil der Diskussion spricht man mit Schädlich über den kritischen Diskurs mit der jüngsten deutschen Vergangenheit und insbesondere der Stasi. Und man befragt ihn zu Günter Grass, der eine Romanfigur von Schädlich - den Spion und Spitzel Tallhöver -  in seinem Roman "Ein weites Feld" weitergedacht hat. 

Programmtext

Im Oktober wird Hans Joachim Schädlich 60 Jahre alt. Der Rowohlt Verlag hat für August die Publikation zweier neuer Erzählungen angekündigt: "Mal hören, was noch kommt" und "Jetzt, wo alles zu spät is". Beiden Texten ist eine sprachliche Exaktheit gemeinsam, die auf eine möglichst vollständige Darstellung von Gegenständen, Gefühlen, Zuständen abzielt und die mit symbolischen Verweisungszusammenhängen arbeitet. Die Erzählungen fügen sich so konsequent in die Reihe seines Oeuvres. Schädlich machte erstmals 1977 mit seinem Prosaband "Versuchte Nähe" - Skizzen über die Zustände in der DDR - über sich reden. Im selben Jahr siedelte er in die Bundesrepublik über. Die Romane "Tallhover" (1986) und "Schott" (1991) gehören ebenso wie seine Erzählungen zu den wichtigsten Werken in der deutschen Literatur der letzten Jahre. Schädlichs Gesprächspartner bei der Buchpremiere sind der Schriftsteller Wilhelm Genanzino ("Die Obdachlosigkeit der Fische", Rowohlt 1994) und Paul Ingendaay, Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Personen auf dem Podium