„Vatermord, Sohnesmord: Notizen zu einer Wunschaufführung des Don Karlos“ / „Wie ich ein Held wurde“
19. November 2005
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Autorentagung : Schiller – Vorbild oder Provokation? Teil 1.
Vorträge: Sibylle Lewitscharoff und Georg Klein
Moderation: Jan Bürger und Christiane Dätsch
Programmtext
Autorentagung: Schiller – Vorbild oder Provokation?
Sibylle Lewitscharoff: „Vatermord, Sohnesmord. Notizen zu einer Wunschaufführung des Don Carlos“ (14.15 Uhr), Georg Klein: „Wie ich ein Held wurde“ (15 Uhr), Ludwig Harig: Entkörpert steh' ich da. Schillers Spielgedanke“ (17 Uhr), Marlene Streeruwitz: „Kabale und Liebe. Die ödipale Geste, die da noch möglich war“ (17.45 Uhr), Robert Gernhardt: „Freispruch für Schiller? Eine Pflichtverteidigung“ (20 Uhr). Podiumsdiskussion im Anschluss.
Weiterführende Informationen
Die Autorentagung, deren erster Teil hier nachzuhören ist, stellt die Frage, ob und in welchem Maße Schiller noch Relevanz besitzt für die gegenwärtige Literatur. Sibylle Lewitscharoff trägt diese Frage an den Don Karlos heran und beantwortet sie in einer Inversion: Hat unsere Gegenwart überhaupt noch Substanz genug, ein solches Stück angemessen auf die Bühne zu bringen? Entschieden lehnt sie die meisten modernen Inszenierungen ab, seien sie doch „Ikeatheater“, „mit seinem Gebrülle und seiner öden Hysterie“. Die politische Dimension des aufklärerischen Stückes könne eine in der Gegenwart verhaftete Rezeptionshaltung gar nicht mehr ergreifen: „Wir können im Dekor der Gegenwart nicht die Lust erzeugen, ein gedankenfreies Ich werden zu wollen. Wir sind längst am Ufer des Freiheitskampfes angekommen und das ist unsere Qual.“ Ihr Interesse gilt daher den Ambiguitäten der Figuren – vor allem in Gestalt der Elisabeth, die aus Natur und Pflicht ihre Grazie und Tugend gewinnt, und in Gestalt Philipps II., jenem absoluten katholischen Herrscher, der sich um ein Vielfaches mehr dem Jenseits und der Religion als seinen Untertanen verpflichtet fühlt.
Georg Klein beschreibt seine Relektüre des Wilhelm Tell und geht darin der Frage nach, worin eigentlich Tells Heldentum bestehe und konfrontiert es mit den Eindrücken, die er als 13-jähriger Leser hatte. Tells Heldentum stellt sich heute für ihn weit weniger strahlend dar. Es ist nicht mehr der Freiheitskämpfer, der den tyrannischen Vogt Geßler tötet, den Klein in Wilhelm Tell sieht, sondern einen bewusst sein und das Leben seiner Liebsten aufs Spiel Setzenden. Tells Handlungen seien immer darauf ausgerichtet, das höchste Risiko verwirklicht zu sehen, den berühmten Apfelschuss habe er überhaupt erst provoziert und Geßler, sein Antagonist, sei eigentlich sein „schwarzes Double“. Am Ende steht Tell als viriler Todeskünstler da, dessen Adelung zum Freiheitshelden lediglich Volte einer feigen Vernunft ist angesichts solch archaischen Heldenspiels - das freilich immer künstlich bleibt.
Im Anschluss an die Vorträge beantworten Sibylle Lewitscharoff und Georg Klein Fragen aus dem Publikum.