Ausstellungseröffnung: Düsteres Idyll. Trost der deutschen Romantik (zu H. G. Adlers Fotografien)

06. Oktober 2015
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Vortrag: Péter Nádas
Moderation: Heike Gfrereis

Programmtext

Auch am 6. Oktober geht es um Buchstaben und Bücher – aber nicht nur, denn wann zündet das Archiv? Im Frühjahr 2015 haben wir den großen ungarischen Schriftsteller Péter Nádas eingeladen, dem Alphabet nach so lange durch die Marbacher Fotonachlässe zu gehen, bis er an einen Punkt kommt, an dem eine Erzählung beginnen könnte. Der studierte Chemiker und Berufsfotograf Nádas kehrte nach einer Woche an den Anfang zurück. Nun ist aus seiner Entscheidung für H. G. Adler ein Buch samt Ausstellung geworden.

Weiterführende Informationen

H. G. Adler, deutschsprachiger Prager Jude, überlebte sowohl Theresienstadt als auch Auschwitz. 1947 emigrierte er nach London, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Bekannt wurde er vor allem für seine frühe soziologische Studie über das Konzentrationslager Theresienstadt, die bereits 1955 erschien und auf seinen eigenen Erfahrungen aufbaut. Doch hat er neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten ein ebenso umfangreiches schriftstellerisches Werk hinterlassen. Dass sich dem auch zahlreiche fotografische Arbeiten hinzugesellen, war bis vor kurzem ein Geheimnis des Marbacher Archivs, wo der Nachlass des Autors aufbewahrt wird.
Ehe Péter Nádas auf die Fotos von H. G. Adler zu sprechen kommt, beklagt er den sprachkulturellen Kahlschlag, den die Nazis vor allem in Osteuropa hinterlassen haben. Die sprachlichen Biotope Prags, Galiziens und der Bukowina seien unwiederbringlich verloren, viele ihrer Autoren mittlerweile fast gänzlich vergessen – als Autor von Gedichten und Romanen ist H. G. Adler dieser Reihe hinzuzufügen. So sehr Péter Nádas den Eigenwert seiner Fotos betont, so sehr versprechen sie ihm auch einen neuen Zugang zu Adlers Werk: „Vielleicht wird gerade der Augenmensch H. G. Adler dem gnadenlosen Hauptstrom der deutschen Kultur helfen, den Dichter und Denker einmal kennenzulernen.“ 
Fast ausschließlich hat H. G. Adler Landschaften fotografiert, häufig Gebirgsszenerien. Péter Nádas macht auf den Gegensatz zwischen Anorganischem und Organischem aufmerksam, betont, dass die Bäume meist als sterbende zu sehen sind. Das Anorganische der Felsen aber bleibt. Als fast identisch mit seiner Dichtung seien Adlers kontrastreiche Schwarzweißfotografien anzusehen. In ihnen „verband er die Naturverbundenheit der deutschen Romantik mit der Erfahrung von Auschwitz.“

Personen auf dem Podium