Literarischer Club

17. September 1996
Literarisches Colloquium Berlin

Gesprächsteilnehmer: Beate Pinkerneil, Mathias Schreiber, Gustav Seibt und Stephan Speicher

Weiterführende Information

Das erste Buch, das in dieser Sendung besprochen wird, ist Günter de Bruyns zweiter Teil seiner Autobiographie „Vierzig Jahre“, der man respektvoll begegnet. Doch es gibt auch Kritik: Beate Pinkerneil erklärt, es sei fatal für eine Autobiographie, dass de Bruyn kaum in der Lage sei, „ich“ zu sagen.
Louis Begleys Roman „Der Mann, der zu spät kam“, gefällt ihr da mehr, was allerdings von der Runde nicht geteilt wird. Seibt moniert beispielsweise „große erzähltechnische Fehler“ in Begleys Text, stilistisch sei der Roman konventionell. Und streckenweise sei das Ganze doch nur „mühsam dialogisiert“. Mathias Schreiber ist mit seiner Kritik weitaus radikaler. Es sei ein langweiliges, schlecht geschriebenes Buch, es habe nicht eine einzige originelle Metapher anzubieten - und Bagley, so holt der Spiegel-Redakteur aus, sei nicht mal in der Lage, einen Tisch zu beschreiben. „Nächstes Buch bitte“, schließt er im fast beleidigten Tonfall seine Beurteilung ab.
Der Roman „Sabbaths Theater“ von Philip Roth ruft eine differenziertere Debatte hervor. Einerseits findet man das Buch „brillant geschrieben“, andererseits sei es aber „voller Wortmüll und unanschaulichem Gerede“, so Seibt. Schreiber findet das zu kurz gedacht und verweist auf die „selbstkritische Bilanz“ im Text, die auf die Vorstellungen der 68er hinziele, Sexualität und gesellschaftliche Veränderung zusammenzudenken.
Javier Tomeos Roman „Das Verbrechen im Orientkino“ beeindruckt die Teilnehmer, jedoch hält das positive Urteil nicht lange vor. Die klassischen Männerphantasien über Prostituierte, so Speicher, seien etwas störend. Schreiber hält das Buch für „unglaublich ordinär“ und wundert sich, dass das spanische Kultusministerium die Übersetzung gefördert hat.

Programmtext

Vier Neuerscheinungen im Urteil der Literaturkritik: Günter de Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht (S. Fischer Verlag); Philip Roth: Sabbaths Theater. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz (Hanser Verlag); Louis Begley: Der Mann, der zu spät kam. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger (Suhrkamp Verlag); Javier Tomeo: Das Verbrechen im Orientkino. Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg (Wagenbach Verlag). Die Diskussionsteilnehmer: Mathias Schreiber (Der Spiegel, Hamburg), Gustav Seibt (F.A.Z., Frankfurt/M.), Stephan Speicher (Berlin-Korrespondent der F.A.Z.) und die Gesprächsleiterin Beate Pinkerneil (ZDF, Mainz).

Personen auf dem Podium