Studio LCB mit Juli Zeh

22. März 2016
Literarisches Colloquium Berlin

Autorin: Juli Zeh
Gesprächspartner: Eva Menasse und Tobias Lehmkuhl
Lesung: Nina West
Moderation: Hubert Winkels

Programmtext

Juli Zeh ist eine der intellektuell und politisch profiliertesten Autorinnen der Gegenwart. 1974 in Bonn geboren, studierte sie Jura in Passau und Leipzig, besonders Europa- und Völkerrecht, abgeschlossen durch die Promotion. Es folgten längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” von 2001 wurde zu einem internationalen Erfolg, gefolgt von einem Reisebericht „Die Stille ist ein Geräusch” über eine Fahrt durch Bosnien, die Romane „Spieltrieb”, „Schilf”, „Nullzeit” und diverse Essaybände. In ihrem neuen Roman, der erstmals im Münchner Luchterhand Verlag erscheint, wendet sich Juli Zeh der Provinz in Brandenburg zu, einer Gegend, wo sie auch lebt. Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf „Unterleuten” irgendwo im weiteren Berliner Umland. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. In Brandenburg bricht die Hölle los...Mit „Unterleuten” (Luchterhand Verlag) hat Juli Zeh einen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich zu einem spannenden Thriller auswächst. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert? Das sind einige der vielen Fragen, die im Roman aufgeworfen werden.

Weiterführende Information

Das einführende Gespräch dreht sich zunächst um Juli Zehs Leben auf dem brandenburgischen Lande und ihr Schreibverhalten dort. Auch die anderen Gäste werden zu ihren Erfahrungen mit dem Landleben befragt. Anhand zweier Titel von Menasse und Lehmkuhl wird über die gegensätzlichen Lebenshaltungen "Coolness" und "Aufgeregtheit" debattiert. Von hier aus leitet Hubert Winkels zur Frage nach Juli Zehs sozialpolitischem Engagement über. Die Autorin hält ihre gesellschaftliche Einmischung für ganz selbstverständlich, wobei Eva Menasse auch für Toleranz gegenüber den "unpolitischen" Autoren plädiert. Die Abwesenheit aktueller Themen - wie beispielsweise des ländlichen Rassismus - in "Unterleuten" begründet Zeh hingegen damit, dass die ländliche Wirklichkeit sich durchaus vom Klischee unterscheide. In Vorbereitung auf die Lesung bittet Hubert Winkels die Gäste dann noch, ihre Lieblingsfiguren im Roman zu bestimmen.

Im Anschluss an die erste Lesung wendet sich das Gespräch der Handlung des Romans zu, die Hubert Winkels scherzhaft als "antikes Drama in Brandenburggestalt" bezeichnet. Der Mangel an Gemeinschaftsgefühl im Dorf, der nicht zuletzt gesellschaftsgeschichtliche Gründe habe, wird ebenso erläutert wie die individuellen Konflikte zwischen den Romanfiguren. Hubert Winkels spricht die stets missglückte Kommunikation der Figuren an, die Juli Zeh bewusst nicht als Kunstgriff, sondern als Realismus verstanden wissen will. Dazwischen werden immer wieder einzelne Charaktere ausgeleuchtet. Auch im Anschluss an die zweite Lesung stehen vor allem Einzelschicksale im Mittelpunkt; Hubert Winkels stellt auch schlussendlich fest, dass der Roman eher einem Kaleidoskop gleichkomme als einem Panorama.

 

 

 

Personen auf dem Podium