„... in meinem nahen Versteck ...“. Über Eduard Mörikes Gedichte

19. Juli 1995
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Vortrag: Hubert Arbogast

Weiterführende Informationen

Hubert Arbogast hielt diesen Vortrag mit dem Titel „‚... in meinem nahen Versteck ...‘ Über Eduard Mörikes Gedichte“ zum Abschluss der Veranstaltungsreihe „Der neue Mörike“, die im Juli 1995 im Deutschen Literaturarchiv Marbach stattfand. Im Rahmen dieser Reihe wurden damals die Veränderungen des (literaturwissenschaftlichen) Mörike-Bildes thematisiert, die sich durch die im Jahr 1967 begonnene Arbeit an der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe Mörikes (geplant sind 29 in 20 Bänden) ergeben hatten.
Eröffnet wurde die Veranstaltungsreihe „Der neue Mörike“ am 9. Juli mit dem von Hermann Lenz verfassten Essay „Mörikes Mühsal und Überlegenheit“. Für den plötzlich erkrankten Hermann Lenz, der eigentlich bislang unbekannte Briefe Mörikes lesen und kommentieren wollte, sprang damals der Schauspieler Wolfgang Höper vom Staatstheater Stuttgart ein. Am 12. Juli hielt Gerhart von Graevenitz den Vortrag „‚Große Dürftigkeit‘ oder Wie gut kennen wir Mörikes Biographie?“. Und unter dem Titel „Von innerm Gold ein Widerschein“ rezitierte Felicitas Barg am 16. Juli Mörike-Gedichte. Mit diesen vier aufeinanderfolgenden Veranstaltungen im DLA sollte demnach ein dem Lese- und Hörpublikum altvertrauter Autor in neue Zusammenhänge gefügt werden.

Hubert Arbogast baut seinen Vortrag über Eduard Mörikes Gedichte folgendermaßen auf: Der erste Teil stellt den Versuch dar, die innere Disposition zu umreißen, die Mörikes Dichten zugrunde lag; im zweiten Teil wird die Mechane beschrieben, die dieser Disposition half, poetischer Ausdruck zu werden; der dritte Teil geht auf die Veränderungen ein, die sich durch Mörikes übersetzerische Tätigkeit in seinem eigenen dichterischen Werk einstellten; und der vierte Teil zeigt am Beispiel des Epigramms, wie scheinbar festgelegte Dichtungsarten im Umgang mit der hellenistischen Poesie neu definiert wurden.
Hubert Arbogast macht deutlich, dass die seelische Verfassung, zu der Mörike geneigt habe, als „Verborgenheit“ bezeichnet werden könne. Im Kern von Mörikes Wesen halte sich eine undurchdringlich bleibende Dunkelheit. Er sei ein maskenreicher Lyriker, ein unerreichter „Polytechniker des Versteckens“. Mörikes lyrisches Werk markiere einen „entscheidenden Übergang“: „den vom Jahrhundert Goethes in eine neue Epoche“. Damit wird dem oftmals verkannten und verspotteten schwäbischen Dichter ein Standort innerhalb der deutschen Literaturgeschichte zugewiesen – Mörike gilt nicht mehr als ‚romantischer Idylliker‘, als ‚biedermeierlicher dichtender Dorfpfarrer‘. In Mörikes lyrischem Gesamtwerk sei das Repertoire von Klassik und Romantik um eine Fülle von Variationen erweitert, darunter finde sich z. B. die madrigalische Form. Zudem habe Mörike seine Technik des Paraphrasierens auf Versarten wie den Alexandriner oder den stichischen Hexameter angewandt.
Ab 1838 beschäftigte sich Mörike intensiv mit antiker Dichtung. Er wollte eine Sammlung der schönsten griechischen und römischen Hymnen, Oden, Elegien, Idyllen und Epigrammen herausgeben. Hierzu zog er die seiner Meinung nach besten deutschen Übersetzungen heran, die er bearbeitete bzw. verbesserte. 1840 erschien die „Classische Blumenlese“, 1864 folgte die Anthologie „Anakreon und die sogenannten Anakreontischen Lieder“. 1855 gab Mörike zusammen mit Friedrich Notter den Band „Theokritos, Bion und Moschos“ heraus. Mörikes übersetzerische Auseinandersetzung mit antiken Dichtern wie z. B. Theokrit, Kallimachos, Catull, Horaz oder Tibull führte zur Entstehung neuer literarischer Gattungen bzw. Formen in seinem Werk, und zwar zur Idylle und Kurzelegie, zum Epigramm und Plaudergedicht. Hubert Arbogast betont in diesem Zusammenhang, dass die Poetik des 19. Jahrhunderts das Epigramm noch nicht deutlich verortet habe, Mörike jedoch habe es „zu einer Spezies des Lyrischen umgeformt“.

Personen auf dem Podium