Stephan Hermlin liest aus seinem Buch „Entscheidungen“ das Kapitel „Rückkehr“
13. September 1995
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Lesung: Stephan Hermlin
Weiterführende Informationen
Die Erzählungen von Stephan Hermlin, die im Sammelband „Entscheidungen“ in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind, handeln alle von Menschen und deren Verhalten in erzwungenen Entscheidungssituationen.
Stephan Hermlin schrieb die Erzählung mit dem sprechenden Titel „Rückkehr“, die erstmals in dem Erzählband „Bestimmungsorte“ (1985) veröffentlicht wurde, bereits 1982/83. Der Text beginnt mit folgendem Satz: „Ende Juni oder Anfang Juli 1945 kam ich als einer der ersten Rückkehrer unter den Emigranten nach neunjähriger Abwesenheit wieder nach Deutschland.“ Was folgt, ist der vermutlich halb autobiographische, halb fiktive Bericht eines überzeugten Kommunisten und politischen Intellektuellen, der an den Prosaband „Abendlicht“ (1979), Hermlins bekanntestes Werk, erinnert. Der rückblickende Ich-Erzähler schließt mit folgendem Fazit: „Daß ich nach Deutschland zurückkehrte, war eine unumstößliche Entscheidung. Daß ich nach dem Auseinanderbrechen des Landes die Deutsche Demokratische Republik wählte, war mir durch mein Leben vorgezeichnet. Auch dies war ein unaufhebbarer Entschluß. [...] Ich habe kaum gefragt, ob ich in Deutschland willkommen sein würde. Ebensowenig fragte ich, ob Deutschland mir etwas schulde, denn ein Land, sein Himmel, seine Wälder, sein Licht kann einem Einzelnen nichts schulden. [...] Ich kam hierher, weil ich diese Sprache besser kenne als die meisten, die sie auch sprechen, weil Deutschlands Herrlichkeiten und Missetaten zu mir lebendiger reden als zu vielen anderen, denen sie auch bekannt sind.“
Es stellt sich im Nachhinein die (leider nicht mehr zu beantwortende) Frage, warum Stephan Hermlin für seine Lesung in Marbach ausgerechnet die Erzählung „Rückkehr“ ausgewählt hatte, die das Publikum unmittelbar in die Nachkriegsjahre zurückführte. Die damaligen Zuhörer wurden quasi Zeugen von einem Stück durchlebter Zeitgeschichte. Prägnant ist allerdings beispielsweise folgendes Selbstbekenntnis, bei dem scheinbar hörbar zwischen den Zeilen ein Unterton von Bitterkeit mitschwingt: „Von den zahlreichen Irrtümern, denen ich unterlag, war mein Glaube an die Wandlungsfähigkeit und die bestimmende Rolle der Intellektuellen beim Herstellen besserer Zustände wahrscheinlich der größte.“