Studio LCB mit Dieter Kühn

17. Juli 2008
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Dieter Kühn
Gesprächspartner: Jörg Drews und Julia Schröder
Moderation: Denis Scheck

Sobald alle Rechtsinhaber zugestimmt haben, wird diese Veranstaltung vollständig nachzuhören sein.

Programmtext

Er ist der meist unterschätzte deutsche Schriftsteller seiner Generation: Dieter Kühn, geboren 1935. Im Mittelpunkt seiner Bücher stehen Napoleon oder Wolkenstein, Neidhart, Wolfram von Eschenbach, Clara Schumann oder Christopher Marlowe - vor allem aber die hellwache, quecksilbrige Intelligenz eines großen Erzählers. Als Biograph brillant, als Romancier visionär, als Essayist hinreißend einsichtsreich: alle fünf Jahre wird der ungewöhnlich talentierte und vielseitige Dieter Kühn dieser Qualitäten halber neu entdeckt, nur um dann doch wieder dank des Sensationalismus der Medien, der kuriosen Mechanismen des Markts und der Aphasien des Literaturbetriebs an den Rand gedrängt zu werden. Mit Dieter Kühns neuem biographischen Projekt könnte sich das ändern: "Gertrud Kolmar: Leben und Werk, Zeit und Tod" (S. Fischer) rekonstruiert auf über 600 Seiten die Biographie einer deutschen Dichterin, die unter dem Namen Gertrud Käthe Chodziesner 1894 in Berlin geboren wurde und vermutlich Anfang März 1943 in Auschwitz starb. Es ist die Geschichte einer der wichtigsten Dichterinnen deutscher Sprache, die Geschichte einer jüdischen Frau, die als Zwangsarbeiterin die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs auf Schöneberg miterlebte und die Geschichte einer Berliner Familie, die zwischen Chile und Australien zerstreut wurde. Im Gespräch mit den Literaturkritikern und Publizisten Jörg Drews und Julia Schröder stellt Dieter Kühn sein im Herbst erscheinendes neues Buch vor und diskutiert im "Studio LCB" über die Auflösung von Leben und Literatur in der Biographie Gertrud Kolmars.

 

Weiterführende Informationen

Eine Sendung über die Lyrikerin Gertrud Kolmar, die in Auschwitz ums Leben kam. Aber auch eine Sendung über die Kunst des Biographieschreibens. So umreißt Denis Scheck zu Beginn das Thema: Wie man aus Leben Kunst macht; und - umgekehrt - wie man Kunst zurück ins Leben verwandelt. Dieter Kühn berichtet dann, wie er vor vielen Jahren die ersten Gedichte Gertrud Kolmars in einer Ausgabe der Literaturzeitschrift "Edition Akzente" entdeckt hatte. Und er erzählt, wie er als Biograph, der so unterschiedliche Persönlichkeiten wie den spätmittelalterlichen Dichter Wolkenstein oder die Pianistin Clara Schumann porträtierte, in der kritischen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Als Autor seiner Generation ist Dieter Kühn nämlich vergleichsweise unbekannt. In den letzten dreißig Jahren hat der Schriftsteller zwar regelmäßig publiziert, trotzdem hielt sich sein Werk nicht im literarischen Gedächtnis - so der Tenor der Debatte. Der Werdegang Kühns steht im ersten Teil der Aufnahme. Im zweiten Teil wird dem Hörer schließlich bewusst, dass Dieter Kühn das Genre der Biographie immer wieder in ein literarisches Experimentierfeld verwandelt.

Personen auf dem Podium