Studio LCB mit Reinhard Jirgl

19. Februar 2002
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Reinhard Jirgl
Gesprächspartner: Iris Radisch und Jürgen Verdofsky
Moderation: Denis Scheck

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Programmtext

Kein anderer Autor seiner Generation hat so konsequent und mit so hohem ästhetischem Ertrag die Abraumhalden der deutschen Zeitgeschichte durchkämmt wie der 1953 in Berlin geborene Reinhard Jirgl. In Romanen wie "Abschied von den Feinden", "Hundsnächte" und "Die atlantische Mauer" zog er die Bilanz der Nachwendezeit. In der DDR arbeitete Jirgl zunächst als Elektroingenieur, dann als Beleuchtungstechniker an der Volksbühne. Als sich die Zensurverantwortlichen der DDR nach jahrelangem Hickhack und nur durch die Fürsprache von renommierten Autoren wie Heiner Müller endlich zu einer Veröffentlichung eines Prosawerks von Jirgl entschlossen, läutete schon das Totenglöcklein für den anderen deutschen Staat. Entsprechend verzögert setzte die Anerkennung dieses Sprachartisten ein. Seltsamerweise haben sich in der Literaturkritk Epitheta wie "ernst", "unerbittlich" oder "unbarmherzig" zur Beschreibung der Jirglschen Schreibweise eingebürgert. Dabei gerät die große Komik dieses Schriftstellers in Vergessenheit. Die sinistre Schönheit des Romanwerks von Reinhard Jirgl speist sich aus dem Schrecken einer das Individuum zermalmenden Geschichte und der souveränen Sprachmacht des Autors. Er liest aus einem noch unveröffentlichten Roman und diskutiert mit den Literaturkritikern Iris Radisch und Jürgen Verdofsky.

Weiterführende Informationen

Die Literaturkritikerin Iris Radisch verweist zu Beginn der Sendung einmal auf die "schwarzen Heimatromane" österreichischer Autoren - und meint damit vor allem Thomas Bernhards literarisches Werk, das hauptsächlich im ländlichen, betont antiurbanen Milieu spielt. "Jirgls Bücher" seien, so ergänzt Radisch schließlich, eigentlich "Deutschlandromane, aber in keinerlei feierliche Weise." Die Bücher des Autors zeichnen sich durch klare Antithesen aus, seien Anti-Heimatromane. Was bedeutet Heimat, fragt Denis Scheck den Schriftsteller dann auch. Es geht in der anschließenden Diskussion schließlich um das zerbrochene Deutschlandbild eines in langer innerer Emigration lebenden DDR-Intellektuellen, um den schwierigen Heimatbegriff in der Moderne und um die Biographie Jirgls. Jirgl hat in der DDR eine Doppelexistenz geführt - als Theatertechniker gejobbt und als Schriftsteller ohne Publikationsmöglichkeit gearbeitet. Heiner Müller hat das literarische Potential Jirgls erkannt, 1990 wurde sein "Mutter Vater Roman" im Aufbau-Verlag veröffentlicht. Eine breite Rezeption des Werkes setzte sich jedoch erst ab 1995 durch.

Personen auf dem Podium