Studio LCB mit Stephan Thome
24. Juli 2012
Literarisches Colloquium Berlin
Veranstaltungsort
Berlin
Lesung: Stephan Thome
Gesprächspartner: Verena Auffermann, Dirk Knipphals
Moderation: Hubert Winkels
Programmtext
Stephan Thome ist der ferne Unbekannte unter den wichtigen Autoren seiner Generation. Er wurde 1972 in Biedenkopf/Hessen geboren, studierte Philosophie und Sinologie und lebte und arbeitete zehn Jahre in Ostasien, vor allem in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Nur selten kam er zu Lesungen und Gesprächen über seine Literatur nach Deutschland zurück. Von einer Rückkehr in die provinzielle Heimat handelt allerdings sein erfolgreiches Romandebüt „Grenzgang“ aus dem Jahr 2009. Es stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und gewann den aspekte-Literaturpreis.
Stephan Thomes neuer Roman „Fliehkräfte“ knüpft inhaltlich an „Grenzgang“ an: Hartmut Hainbach ist Ende fünfzig und hat alles erreicht, was er sich gewünscht hat: Er ist Professor für Philosophie und hat seine Traumfrau geheiratet, die er nach zwanzig Jahren Ehe immer noch liebt. Dennoch ist Hartmut nicht glücklich. Seine Frau ist nach Berlin gezogen, so dass aus der Ehe eine Wochenendbeziehung geworden ist, die gemeinsame Tochter hält die Eltern auf Distanz, der Reformfuror an den Universitäten nimmt ihm die Lust an der Arbeit. Als ihm überraschend das Angebot zu einem Berufswechsel gemacht wird, will er endlich Klarheit: über das Verhältnis zu seiner Tochter, über seine Ehe, über ein Leben, von dem er dachte, dass die wichtigen Entscheidungen längst getroffen sind.
Drei Jahre nach „Grenzgang“ gerät in Stephan Thomes neuem Roman „Fliehkräfte” wieder einer ins Straucheln. Und mit atemberaubendem Gespür für die Niederlage schickt Thome seinen Helden auf eine alles entscheidende Reise. Über Frankreich und Spanien führt sie ihn bis nach Lissabon und zugleich in die Vergangenheit, ganz nah heran an die Verwerfungen und Abgründe des gelebten Lebens.
Weiterführende Information
Zwei unterschiedliche Aussagen geben wieder, welche Themen in dieser Veranstaltung bestimmend sind. Mit subtilem Sarkasmus behauptet die Literaturkritikerin Verena Auffermann, Männer hätten dauernd mit Krisen zu kämpfen. Erwartungsgemäß löst diese Diagnose Heiterkeit bei den männlichen Teilnehmern aus. Damit weist Auffermann aber auch indirekt auf die Befindlichkeitsstruktur der männlichen Protagonisten in Stephan Thomes Romanen hin. Warum bewegen sich seine Figuren in fernöstlichen Weiten? Weshalb haben wir es mit Personal aus dem universitären Milieu zu tun? Diese Frage verweist bereits auf den zweiten Themenschwerpunkt des Abends. Stephan Thome legt dar, dass es vor 10-15 Jahren für Akademiker beinahe unmöglich gewesen sei, eine Anstellung an einer deutschen Universität zu bekommen. Dieser Aspekt erweist sich als Ausgangspunkt für ein soziales Phänomen, dass den Autor stark beschäftigt. Es geht um Emigrationsbewegungen aus dem alten Europa in den rasant aufstrebenden asiatischen Raum. Auch Thome hat die letzten Jahre in Taiwan verbracht.