Studio LCB mit Thomas Lehr

10. Juli 2017
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Thomas Lehr
Im Gespräch: Lutz Seiler und Katrin Lange
Moderation: Maike Albath

Programmtext

Der Schriftsteller Thomas Lehr ist seit jeher in den unterschiedlichsten Zeitaltern und Erzählformen unterwegs. Sein großer Roman »September. Fata Morgana« (2010) nahm den Irak und New York nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den Blick. »42« (2005) variierte elegant das Genre der Science Fiction und katapultierte die Figuren in eine Zeitlücke. Die Novelle »Frühling« (2001) war der Bewusstseinsstrom eines Sterbenden, und »Nabokovs Katze« (1999) bot eine Sittengeschichte der Bundesrepublik in den siebziger Jahren. In seinem neuen Roman, der drei Lebensläufe miteinander verknüpft, lagern sich die Brüche des 20. Jahrhunderts ab. »Schlafende Sonne« (Hanser Verlag) ist ein Zeitpanorama, in das der Erste Weltkrieg ebenso einfließt wie die DDR und das Berlin der Gegenwart. Thomas Lehr, 1957 in Speyer geboren, studierte Biochemie an der Freien Universität Berlin und arbeitete als Programmierer an der Universitätsbibliothek. Ob bestimmte Stoffe bestimmte Erzählweisen erfordern oder ob der Prozess auch umgekehrt verlaufen kann, wird eine der Fragen sein, über die Thomas Lehr mit dem Autor Lutz Seiler und der Literaturwissenschaftlerin Katrin Lange (Literaturhaus München) diskutieren wird.

Weiterführende Information

Aufgabe dieses Abends, wie Maike Albath eingangs erklärt, sei einen "vielfältig verzahnten Weltentwurf" zu erkunden. Zunächst wird aber über Thomas Lehrs für einen Schriftsteller ungewöhnliche naturwissenschaftliche Qualifikationen gesprochen. Wissenschaftler wie Autor bräuchten Phantasie, erklärt Lehr, nur eben nicht die gleiche. In jedem Fall verfüge er selbst über eine "zusätzliche Metaphorik." Zu seinen literarischen Einflüssen befragt, erzählt Lehr, wie er die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts gewissermaßen rückwärts entdeckt habe. Als Einleitung zur Lesung wird noch über die Begeisterung der Romanfigur Jonas für die Sonne gesprochen; der Autor erklärt, die Erforschung des Lichts sei eines der Leitmotive des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen.
Im Anschluss an die erste Lesung wird über das "Koordinatensystem" des Romans gesprochen. Katrin Lange verweist auf seine Zeitachse und die historischen Bezüge. Lutz Seiler, gewissermaßen als Zeitzeuge befragt, liest "Schlafende Sonne" nicht als Roman über die DDR; allenfalls ein "Mikromilieu" werde beschrieben. Katrin Lange bewundert die Vielfalt der Erzählperspektiven wie auch das Formprinzip des Romans, die - zeitliche und räumliche - Spirale, und Lutz Seiler seine "glänzenden" Bilder. Kritik üben die Gäste an dem "quantitativen" Übergewicht der Sexszenen im Roman. Thomas Lehr verteidigt es mit dem Hinweis auf die männerzentrierte Perspektive seines Romans "Nabokovs Katze," im Gegensatz zu welchem die weibliche Sexualität hier nun zu ihrem Recht komme.
Nach der zweiten Lesung dreht sich das Gespräch zuächst um die Darstellung des Ersten Weltkriegs in Lehrs Roman, der Autor spricht über die Schwierigkeiten bei der Darstellung der komplexen politischen Verhältnisse. Die Entwicklung der Protagonistin Milena von der Philosophin zur Künstlerin wird diskutiert und von hier wendet sich die Diskussion noch einmal der Erzähltechnik zu, nicht zuletzt mit Hinblick auf das Buch als Auftakt einer Trilogie.

Personen auf dem Podium