Studio LCB: Popjahrzehnte

01. Juli 2019
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Jens Balzer und Bodo Mrozek
Gesprächspartner: Thomas Meinecke
Moderation: Katharina Teutsch

Programmtext

Mondlandung, Woodstock, Ölkrise und AntiAKW-Bewegung sind die bekannten Wegmarken eines Jahrzehnts, das aus heutiger Sicht eine Scharnierepoche bildet. Der Aufbruchsgeist der 60er wird in den 70ern globalisiert und kommerzialisiert zu internationalen Genussgemeinschaften. Der Kulturjournalist Jens Balzer erklärt in seinem Buch »Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er« (Rowohlt Berlin, 2019), wie die Nachkriegsutopien sich nicht nur im Punk in apokalyptische Gesellschaftsphantasien verwandelten. Nebenbei nimmt die Frauenbewegung ihren Lauf und die Umwelt wird zum Thema der Politik. Unsere heutigen Konflikte gründen alle, so Balzers These, im Geist der Siebziger. Mit ihm diskutiert der Pophistoriker Bodo Mrozek. In seiner zeitgleich bei Suhrkamp erschienenen Studie über die Pop-Revolution der 50er und 60er Jahre zeigt er, dass die Nachkriegsgesellschaft dem Kulturtransfer aus Amerika mehrheitlich feindlich gegenüberstand. Die frühe Popkultur – versinnbildlicht im hochinfektiösen Twist-Fieber – wurde mehr mit Delinquenz in Verbindung gebracht als mit späteren Kampfvokabeln wie Befreiung und Revolution. Mit Polizeiakten, Presseartikeln und einer fundierten Popgeschichte liefert Mrozeks »Jugend – Pop – Kultur« die Basis einer globalen Erfolgsstory. Gemeinsam mit diesen Exegeten der großen Pop-Jahrzehnte diskutiert der Popautor Thomas Meinecke.

Weiterführende Information

Zu Beginn dieses Abends zu den "Popjahrzehnten" steht der Begriff "Pop" im Mittelpunkt, wovon ausgehend insbesondere die Kriminalisierung und Skandalisierung der Popkultur der 1960er und 1970er Jahre diskutiert werden. Bodo Mrozek liest eine Passage, welche sowohl die absurde polizeiliche Verfolgung aller Phänomene der Jugendkultur in den '60ern illustriert als auch jene "Transnationalität" der Popkultur, in der Jens Balzer eine zentrale Gemeinsamkeit zwischen den beiden vorgestellten Büchern erkennt. Anhand der internationalen Rezeption von Tolkiens Roman Herr der Ringe wird anschließend über die Entwicklung der Subkulturen gesprochen. Zunächst sei Tolkiens antiindustriell-agrarische Utopie in die Hippie-Bewegung eingeflossen, in den 1970er Jahren habe sich die Metal-Bewegung dann aber doch eher mit den finsteren Gestalten seiner Welt identifiziert. Sozialutopien und die "Aura des Bösen" hätten gleichzeitig und nebeneinander existiert, Kollektiv und Individualismus miteinander konkurriert. Thomas Meinecke blickt in seine eigene Jugend zurück und spricht über die "Verunsicherungen" und die Schwierigkeiten dabei, sich in den 1970er Jahren zu all diesen Entwicklungen zu verhalten. Katharina Teutsch bringt das Gespräch darauf, inwieweit der Kapitalismus sich in dieser Epoche aller Phänomene sofort bemächtigte und Jens Balzer sieht denn auch am ehesten in den "kleinen Erzählungen" der Zeit Potentiale, die bis in unsere Gegenwart nachwirken. Nach der zweiten Lesung wird, ausgehend von David Bowie als Symbolfigur, über transgressive sexuelle Identitäten gesprochen. Thomas Meinecke bringt am Beispiel von Lou Reeds Lied "Walk on the Wild Side" das Gespräch auf die aktuelle Neubewertung des damals Progressiven. Insbesondere in der sexuellen Revolution werden diesbezüglich wiederum innere Widersprüche festgestellt. Zum Abschluss des Abends wird über die Ausläufer der Popkultur am Ende der Epoche wie etwa die Punkbewegung gesprochen und die Extreme, in welche sie bisweilen abgedriftet sind - von Skinheads bis "Surfnazis".

Personen auf dem Podium