Wovor sich fürchten, was träumen, wie lieben
06. Juli 2012
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Lesung: Ulrike Draesner
Moderation: Heike Gfrereis
Programmtext
Ulrike Draesner erkundet die Tabus und Sehnsüchte des 21. Jahrhunderts. In ihrem letzten Roman Vorliebe steht die Astrophysikerin Harriet ihrer großen Liebe von einst gegenüber. Ihr bisheriges Leben gerät aus seiner geordneten Umlaufbahn.
Weiterführende Informationen
Anlässlich des Literaturfestes auf der Schillerhöhe (6. bis 8. Juli 2012), bei dem sich alles um den Himmel und die Zukunft der Literatur drehte, liest Ulrike Draesner aus ihrem Roman "Vorliebe" (2010), dessen Hauptfigur die Astrophysikerin Harriet ist. In dem an die Lesung anschließenden Gespräch mit Heike Gfrereis erklärt Ulrike Draesner, dass sie ursprünglich den Plan gefasst habe, vier Novellen zu den vier Elementen (Luft, Erde, Wasser und Feuer) zu schreiben. Ihr Buch "Vorliebe" sei somit als "Luftroman" anzusehen. Bezeichnenderweise sei das Motto dieses Romans ein Zitat aus Ovids "Ars Amatoria" (II, 36): "Restat iter caeli: caelo tantabimus ire. / Übrig nur ist die Luft. Durch diese zu gehen versuchen wir." Alle Romanfiguren hätten auf unterschiedliche Art und Weise ein intensives Verhältnis zum Element Luft: Peter habe Asthma, Ashley sei ein Luftfahrtingenieur und Harriet beschäftige sich damit, wo die Luft ende und wo sozusagen die Luftlosigkeit, eine Art der Form des Nichts, beginne, denn wo unsere Atmosphäre ende, da beginne das Weltall, und deshalb wolle Harriet auch unbedingt dort hinfliegen. Alle Figuren seien folglich "Luftfahrer" und "Luftmenschen". Bekanntlich seien Luft und Liebe ja schon immer stark miteinander verbunden gewesen und das werde ihnen zum Teil auch zum Verhängnis, denn als phantasievolle Menschen würden sie gerne Luftschlösser und Luftgebäude bauen.
Ulrike Draesner ist offensichtlich fasziniert von der Astrophysik als merkwürdiger wissenschaftlicher Disziplin der Grenzgebiete. Sie lasse nämlich keine Experimente zu, sie diktiere sozusagen selbst die Versuchsbedingungen und sei eine auf Fiktionen beruhende Naturwissenschaft. Auf dem Gebiet der Astrophysik würden phantastische Hypothesen ausgebildet und man versuche, diese ansatzweise mit irdischen Mitteln, wie z. B. mithilfe der Mathematik, zu beweisen.
Des Weiteren geht es im Gespräch zwischen Heike Gfrereis und Ulrike Draesner um die Figurengestaltung und die Erzähltechnik im Roman. Der Prosatext wird bemerkenswerterweise in diesem Zusammenhang als "Netz", als sich ausbreitende "Textur" verstanden.