Studio LCB mit Marcel Beyer, Nadja Küchenmeister und Jan Wagner

18. September 2014
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung und Gespräch: Marcel Beyer, Nadja Küchenmeister und Jan Wagner
Moderation: Maike Albath

Programmtext

»du liegst/ im gras betäubt vom sauerstoff und nur zur hälfte wach, zur hälfte / abgewandert ins geträumte tal« intoniert Nadja Küchenmeister in ihrem neuen Gedichtband »Unter dem Wacholder« (Schöffling & Co). Auf die Frage, wie man heute von Jahreszeiten, Herkunft, Verlust und Liebe erzählen kann, findet die 1981 in Berlin geborene Lyrikerin viele Antworten. Detailgenau und lakonisch tastet sie ihre Umgebung ab. Die Natur in ihren verschiedensten Ausprägungen beschäftigt Jan Wagner in seinen »Regentonnenvariationen« (Hanser Berlin). Es gibt schäumenden Giersch, Weidekätzchen und Würgefeige, Morchel, Melde, Olm und Otter. Verbirgt sich in den präzisen Benennungen auch das Wesen der Dinge? Wagner, Jahrgang 1971, gebürtiger Hamburger, macht Botanik und Tierwelt zu Bestandteilen der Erfahrungswelt seines lyrischen Ichs. Bei Marcel Beyer schließlich, Jahrgang 1965, in Dresden beheimatet, Dichter und Romancier, wird die Materialität der Dinge zu einem Schutzraum, in dem auch die Sprache lebendig bleiben kann. In seiner Sammlung »Graphit« (Suhrkamp) sind es immer wieder Fotos, die zum Auslöser eines Gedichts werden. Beyers Mehrstimmigkeit widersetzt sich der Vereindeutigung des Sprechens. Welche Gedichte für unsere Zeit von Nöten sind, werden die drei Lyriker in Gespräch und Lesung erläutern.

Weiterführende Information

Maike Albath eröffnet das Gespräch mit der Frage nach den selbstgewählten Berufsbezeichnungen der Gäste. Während Nadja Küchenmeister sich als "Schriftstellerin" begreift, würde Jan Wagner sich beispielsweise einem Klempner ("der ja auch dichtet," wie Marcel Beyer anmerkt), durchaus als "Dichter" vorstellen. Marcel Beyer schließlich findet schon das Wort "Schriftsteller" merkwürdig. Es wird vom Rhythmus des Veröffentlichens von Lyrik gesprochen, der wesentlich weniger hektisch sei als der von Prosa, auch über die Verbindungen zwischen Prosa und Lyrik. Nach Jan Wagners Lesung aus den Regentonnenvariationen wird über diese Gedichte gesprochen. Marcel Beyer beobachtet, dass sich hier dem Klang erst der Sinn "anhefte," Klangfolgen "Semantik anziehen." Trotzdem wird anschließend ausgiebig über Form gesprochen und Wagner erklärt, warum er strenge Formen als "Befreiung" empfindet. Nach Nadja Küchenmeisters Lesung identifiziert Marcel Beyer das Phänomen der "Verwandlung" als Gemeinsamkeit ihrer Gedichte, während Jan Wagner an ihnen vor allem schätzt, dass sie auch dann funktionieren, wenn sich einem Leser ihr Anspielungsreichtum nicht gänzlich erschließe. Maike Albath befragt die Lyrikerin nach dem "Glutkern" ihrer Gedichte, der Küchenmeister zufolge immer der Vers sei. Davon ausgehend gebe es - anders als bei Prosa - nur einen richtigen Weg zum fertigen Werk. Nachdem Marcel Beyer aus Graphit gelesen hat, findet Jan Wagner, dass auch hier das "sinnliche Erlebbarmachen von Sprache" wunderbar gelungen sei. Zum Abschluss wird über Beyers lyrische Verarbeitung gesprochen, über den Aufbau von Gedichtbänden und die "Entdeckung" des Verses.

Personen auf dem Podium