„Der König verneigt sich und tötet“

19. Januar 2005
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Herta Müller
Moderation: Jan Bürger

Programmtext

Herta Müller stammt aus Rumänien. Als 1984 ihr Debüt Niederungen in Deutschland herauskam, wurde nicht nur eine außerordentliche Autorin entdeckt, sondern auch eine fast unbekannte literarische Provinz: das Banat. In Marbach liest Herta Müller aus ihrem neuen Buch, einer eindrucksvollen poetischen und politischen Selbsterkundung.

Weiterführende Informationen

Zunächst liest Herta Müller eine gekürzte Version ihres Essays "Der König verneigt sich und tötet", der letztlich ein Erinnerungsstück ist. Dabei ist der Text jedoch weit davon entfernt, lediglich Erinnertes zu erzählen, vielmehr geht er von einer zunächst metaphorisch scheinenden Verbindung des Königs und des Friseurs aus, gibt diesen aber sogleich Konkretion durch die in Sprache und Bilder gefassten Erinnerungen und Wahrnehmungen der Autorin. So schnitzte der Großvater dem Friseur eines Kriegsgefangenenlagers im Ersten Weltkrieg Schachfiguren, darunter einen König, zum Dank für die Behandlung seines Haarausfalls. Immer wieder entzünden sich so Metaphern, die Reflexion und Erzählung miteinander verschmelzen lassen. Macht, Niederlage und Tod verbinden sich in den Erinnerungen wie auch in den Bildern. Das Haar wird entweder zum Zeichen trotziger Vitalität, sogar über den Tod hinaus, oder zum Zeichen tyrannischer Erniedrigung, z. B. in den Fotos der internierten kahlgeschorenen Mutter Herta Müllers. Aus dem Schachkönig wird über einen Zwischenschritt der Staatskönig, der schnell als Todeskönig und somit als allgemeinere Figur zu erkennen ist, die sich hinter den Masken Ceaușescu und Stalin verbirgt. Der König markiert in diesem Text, dessen Vielschichtigkeit hier bestenfalls anzureißen ist, die Macht, zwischen Leben und Tod zu scheiden, markiert auch das Ende der Sprache, dem ein neues Bild entgegenzusetzen ist - vor allem wenn sich der König über Verhör und Folter dem eigenen Körper und der eigenen Sprache aufdrängt, wovon Herta Müller hier ein schonungsloses Zeugnis ablegt.

Wie einen solchen König in die Sprache integrieren, wie ihm in der Sprache begegnen? Eine mögliche Antwort sind für Herta Müller die Collagen, hier kann sie den König bereits aus Gedrucktem und Geschriebenem ausschneiden, neu zusammensetzen und in den Kontexten verschieben. Einige solcher Collagen, wenn auch heiterere, liest Herta Müller im Anschluss.

Im abschließenden Gespräch werden zunächst die Collagen und deren eigene Poetik zwischen Wort und Materialität behandelt. Als das Gespräch auf die Kindheitserinnerungen Herta Müllers kommt, beschreibt diese zuerst ihre Beziehung zum Dorfleben und gibt daraufhin einen Einblick in ihren persönlichen Weg zum Schreiben, auf dem sich zwangsläufig das Leben und das Lesen bzw. Schreiben politisch durchdrungen haben - mit Verfolgung und Repression als ständigen Begleitern und zudem mit einem enormen historischen Gewicht beladen.

Personen auf dem Podium