Studio LCB mit Stephan Thome
17. Februar 2015
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Stephan Thome
Gesprächspartner: Verena Auffermann und Rainer Moritz
Moderation: Hubert Winkels
Laufzeit: 1:43h
Programmtext
In Stephan Thomes zweitem Roman „Fliehkräfte" von 2012 führten die Wege der deutschen Intellektuellen und Lebenskünstler nach Portugal. Thomes jüngster Roman „Gegenspiel” (Suhrkamp Verlag) nun startet im warmen südlichen Land und führt dann zurück nach Deutschland. Maria ist achtzehn und möchte raus aus Portugal. Mitte der Siebzigerjahre bietet das Land einer jungen Frau wenig Perspektiven. Maria aber will nicht heiraten und Kinder kriegen, sie will mehr vom Leben. Als das neue Jahrzehnt anbricht, geht sie nach Berlin, beginnt ein Studium und eine Beziehung mit einem rebellischen Theatermacher, die bald scheitert. Allen Plänen vom unabhängigen Leben zum Trotz findet sich Maria schließlich als Ehefrau und Mutter in der nordrhein-westfälischen Provinz wieder und schaut ihrem Mann Hartmut beim Karrieremachen zu. Lange arrangiert sie sich mit den Verhältnissen, aber als die Tochter erwachsen und auf dem Sprung aus dem Haus ist, trifft Maria eine Entscheidung. Lissabon nach der Nelkenrevolution, die Hausbesetzerszene in Westberlin, die deutsche Provinz vor und nach der Wende: Stephan Thome erzählt in markanten, spannungsreichen Szenen eine bekannte Geschichte neu und völlig anders. „Gegenspiel” ist ein raffinierter Roman über Täuschung und Selbsttäuschung, über Aufbruch und Verantwortung, auch gegenüber dem eigenen Leben, voll Empathie und dennoch psychologisch rational durchgestaltet.
Weiterführende Information
Dass Autoren ihre Lieblingsfiguren immer wieder aufgreifen, sei noch vergleichsweise häufig. Beeindruckt zeigen sich die Gäste des Abends aber von Stephan Thomes noch viel kühnerem Kunstgriff: Sein neuer Roman "Gegenspiel" fungiert als das Gegenstück zu "Fliehkräfte" (2012) und erzählt die gleiche Geschichte einer Ehe, nun aber aus der Perspektive der Frau. Ist es schwieriger für einen männlichen Autor, einer solchen Figur nahe zu kommen? Und was bedeutet das für die Erzählperspektive? Diese Fragen dominieren den ersten Teil der Veranstaltung. Eine der Hauptfiguren des Romans ist Sprachphilosoph und Hubert Winkels meint im Text eine "Sprechakttheorie in narrativer Form" zu erkennen. Verena Auffermann sieht in Thomes Roman hingegen vor allem eine großartige und bisweilen unangenehm präzise Analyse des Ehelebens.
Nach der Lesung dreht sich das Gespräch um die Männer im Leben der Protagonistin Maria. Worin bestehen die gegenseitigen Anziehungen, was hält ihre Ehe zusammen? Erleben wir Maria ausschließlich in einer "untergebenen Rolle" (Verena Auffermann)? Und schließlich: Welche Rolle spielt das fortgeschrittene Alter bei der Entscheidung, sich noch einmal auf ein Abenteuer einzulassen? Eine Auseinandersetzung entspinnt sich noch um das Ende der Handlung von "Gegenspiel": Mit Verena Auffermanns ausgesprochen pessimistischer Lesart können sich die anderen Gäste nicht abfinden.