Studio LCB mit Yoko Tawada

07. März 2019
Literarisches Colloquium Berlin

Mit Yoko Tawada, Marion Poschmann und Florian Coulmas
Moderation: Tobias Lehmkuhl
Lesung der deutschen Fassung: Nina West

Programmtext

„Die Zukunft sieht rosig aus. Zumindest für die jetzt Lebenden, denn ihnen ist ein hohes Alter beschieden. Für die Nachgeborenen aber ist „Gesundheit“ ein Fremdwort – und alle Fremdworte sind ihnen überdies verboten.“

In »Sendbo-o-te« (konkursbuch, 2018) erzählt die Kleist-Preisträgerin Yoko Tawada von einer Welt, in der Umweltverschmutzung und Umweltkatastrophen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt haben und in der es Urgroßväter sind, die ihre Enkel aufziehen. Eine Welt, in der nur noch die Sprache rein ist und das Brot sich von selbst bäckt. „Japan“ heißt die Welt, deren Zukunft Tawada hier porträtiert, ein Land, das in seinen Abschottungsfantasien und Zukunftsängsten durchaus jenem Deutschland von heute verwandt ist, das wie eine Nachhallerinnerung immer wieder durch »Sendbo-o-te« pulst. Über deutsch-japanische Verbindungen, die Faszination des einen für das andere Land und die Kunst mit der Literatur über die Zukunft auch die Gegenwart auszuloten, spricht Yoko Tawada mit dem Japanologen Florian Coulmas und der Schriftstellerin Marion Poschmann (»Die Kieferninseln«, Suhrkamp, 2017).

Weiterführende Information

Die Gespräche des Abends drehen sich vor allem darum, inwieweit Sendbo-o-te sich in der japanischen Kultur verorten lässt. Tobias Lehmkuhl, der eingangs eingesteht, nur wenig über Japan zu wissen, befragt dazu die Podiumsgäste. Es wird über Japan-Klischees wie das der vermeintlichen sozialen Homogenität des Landes, über das japanische Deutschland- und das deutsche Japanbild gesprochen, über japanische Gärten, Musik und Literatur. Als Inspiration der Handlung rückt natürlich auch die Katastrophe von Fukushima ins Blickfeld, deren deutsche Wahrnehmung von Tawada und Coulmas herausgefordert wird. Nach der ersten Lesung wendet sich das Gespräch noch unmittelbarer dem Buch zu. Marion Poschmann zufolge, die Parallelen zum Katastrophenroman zu erkennen glaubt, sorge der anspielungsreiche Erzählstil der Autorin für eine "detektivische" Lektüre. Die Frage, woher die Katastrophe im Hintergrund der Erzählhandlung stammt, nimmt denn auch einigen Raum ein. Es wird ausgiebig darüber diskutiert, ob es hier um eine "Rache der Natur" ginge, die - wie Florian Coulmas vorschlägt - von göttlicher Vergeltung auch nicht zu unterscheiden wäre. Gegen die Bemerkung des Moderators, Tawadas postapokalyptische Welt habe bisweilen etwas von einer "Idylle," geradezu etwas "Verheißungsvolles," verwehren sich die Gäste mehrheitlich. Marion Poschmann jedenfalls empfindet nichts als Grusel angesichts in Fabriken erzeugter Früchte. Auf den japanischen Naturbegriff angesprochen, erklärt Yoko Tawada, den Japanern sei die zeichenhafte, reproduzierte Natur ohnehin lieber als die "echte." Es wird kurz über die Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Buches, insbesondere mit Blick auf die Wortspiele der Autorin gesprochen. Zum Abschluss diskutieren die Gäste noch die Stoßrichtung des Buches; während Florian Coulmas es in der Tradition des japanischen Weltuntergangsromans sieht, erkennt Tobias Lehmkuhl in Sendbo-o-te eine Gegenwartsdiagnose.

Personen auf dem Podium