„Talisman“ und neueste Arbeiten

03. Mai 2000
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Yoko Tawada

Programmtext

Yoko Tawada wurde 1960 in Tokyo geboren. Seit 1982 lebt sie in Hamburg, wo sie Neue Deutsche Literatur studiert hat. 1987 debütierte sie als Schriftstellerin. Es ist ganz fraglos, daß ihre Bücher zur deutschen Literatur gehören, denn viele (nicht alle) hat sie auf Deutsch geschrieben. Es sei "ein bißchen ein ethnologischer Blick", den sie auf ihre Wahlheimat wirft, gestand sie der Journalistin Lerke von Saalfeld, die in ihrem Buch Ich habe eine fremde Sprache gewählt ein Gespräch mit Yoko Tawada veröffentlicht hat. Ihre Art der Wahrnehmung Deutschlands und seiner Kultur fasziniert ebenso wie ihre Sprache; Karl Riha nannte sie deshalb in der Frankfurter Rundschau treffend "einen literarischen Glücksfall".

Weiterführende Informationen

Yoko Tawada kann man sicher als Autorin der Zwischenräume bezeichnen. Dies gilt natürlich für die Besonderheit ihres Werkes, nicht nur zwei Sprach-, sondern auch zwei Schrifträumen anzugehören. Ebenso aber gilt es für ihre einzelnen Texte. Immer wieder bauen sie auf dem Ungehörten unverhoffter Wortnachbarschaften auf. Gedanklich ist man herausgefordert, jenen Raum zwischen dem einen Wort und seinem neuen Cousin zu betreten, so. z. B. wenn im ersten Gedicht dieser Lesung aus der "Zunge" eine "schwankende Setzung" wird. Nicht nur der japanische Akzent Yoko Tawadas gibt solcher Sprachdynamisierung eine eigene performative und prosodische Qualität, sondern die Zunge schwankt auch im Text selbst, wenn er ab der zehnten Strophe plötzlich ins Japanische wechselt.

Ein tatsächlicher Zwischenraum wird in der folgenden Erzählung "Im Bauch des Gotthards" betreten, wobei der transalpine Tunnel durch Fehlleistung zum Körper eines Mannes wird, nur um dann doch wieder als Name selbst durchfahren zu werden, als Bindeglied einer Sprachreise durch die Wörter, wo jedes 'o', ob in 'Como' oder 'Locarno', einen neuen Tunneleingang repräsentiert. Ist es der durch das japanische Ideogramm geschulte Blick, der nicht nur dies, sondern auch die Pünktchen des Umlauts im Ortsnamen 'Göschenen' als drohenden Steinschlag wahrnehmen kann?

Yoko Tawadas Sprache reist hier und in den folgenden Texten durch die graphische Konkretion der Buchstaben wie Worte, reist auf den Grenzen der Kulturen und Referenten. Immer wieder überrascht begegnet man den eigentlich bekannten Wörtern des Deutschen in neuem Licht - ja, in Yoko Tawadas Texten werden sie tatsächlich zu individuierten, körperlichen Gestalten.

Personen auf dem Podium