Studio LCB mit Hanns-Josef Ortheil

25. Januar 2012
Literarisches Colloquium Berlin

Lesung: Hanns-Josef Ortheil
Gesprächspartner: Ijoma Mangold und Sandra Richter
Moderation: Denis Scheck

Sobald alle Rechtsinhaber zugestimmt haben, wird diese Veranstaltung vollständig nachzuhören sein.

Programmtext

Es war einmal ein kleiner Junge, der hatte vier Brüder, die waren alle tot und begraben, als er zur Welt kam, und eine Mutter, die nach so viel Verlust nicht mehr sprechen konnte und wollte, und dieser kleine Junge lernte zwar im Alter von vier Jahren Klavierspielen und sollte später einmal um ein Haar Pianist werden, zunächst aber blieb er stumm bis zu seinem siebten Lebensjahr.

Leser von Hanns-Josef Ortheil, der im Paradox von sich erzählt "Bei meiner Geburt war ich der Letzte und Erste zugleich", kennen diese Geschichte. Ortheils Romane erzählen sie in vielen Variationen, etwa in dem intimen Mutterbuch "Hecke", dem großen Sittenbild der Bundesrepublik "Schwerenöter", dem Vater-  und Totenbuch "Abschied von den Kriegsteilnehmern", dem einsichtsreichen Auskunftsbuch "Das Element des Elefanten" bis hin zu den jüngsten Romanen wie "Die Erfindung des Lebens". "Die Diagnose lautete:  autistische Ich-Versenkung“, heißt es in "Das Element des Elefanten", "das Kind sitzt inmitten einer auf es einschreienden Gesellschaft von Sprachbenutzern und Sprachadepten, regungslos, unbeirrbar, stumm und verstört wie seine Mutter, die man belehren und bekehren wollte wie mich selbst, indem man ihr vorsprach, sie schreiben ließ, ihr Bilder erklärte. Die Diagnose in ihrem Fall lautete: Aphasie, eine wahrscheinlich nicht heilbare Sprachstörung, bei der Hören, Begreifen und Denken nicht beeinträchtigt sein müssen."

Im "Studio LCB" wird Hanns-Josef Ortheil aus seinem neuen Roman "Liebesnähe" lesen und mit der Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter und dem Literaturkritiker Ijoma Mangold von der Wochenzeitung "Die Zeit" diskutieren.

Weiterführende Information

Drei Themen bilden den Schwerpunkt dieser Studio-LCB-Aufnahme. Erstens: Wie sieht der Arbeitstag eines Mannes aus, der einerseits ein sehr produktiver Schriftsteller ist, andererseits an der Universität Hildesheim seit knapp 20 Jahren als Professor für kreatives Schreiben arbeitet? Wie bringt man beides zusammen? Zweitens: Inwiefern hat der frühe Abbruch der Pianistenkarriere einen Einfluß auf sein Schreiben gehabt? Wie stark steht hinter jedem künstlerischen Schaffen die „Idee des Autodidakten“? Drittens: Wie könnte man den Liebesdiskurs in Ortheils neuem Roman „Liebesnähe“ am besten charakterisieren? Als schwarzen Kitsch etwa, in dem Darstellungsmomente aus Pornographie und dem Drogenmilieu aktiviert werden? Oder als subtile Kunst eines klassischen Diskurs-Schemas, in dem Elemente der Antike und asiatische Motive auftauchen?

Personen auf dem Podium