In dem Gespräch zwischen Angela Steidele und Thorsten Dönges wird deutlich, dass Geschichten immer Ge_schichten sind – und auch ganz anders erzählt werden könnten, dass die Verqueerung also sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen geschehen kann, indem Figuren oder Personen neu und anders wahrgenommen werden – im Schreiben wie im Lesen. Der Text liefert zudem viele intertextuelle Verweise, bindet so Jahrhunderte und Denktraditionen zusammen und verknüpft sie zu einer Geschlechterdiffusität. Geschichte wird so zu geschichteten Versionen von Wahrnehmungen. Queeres Lesen liest die Zwischenräume zwischen den hermetischen Varianten der Dualität von Weiblichkeit und Männlichkeit. Queeres Lesen und Hören nimmt die Brüche wahr, die Konstruktionen von geschlechtlichen Selbstdarstellungen, queert so eindeutig scheinende Performances.
Hier wie auch in vielen anderen Texten wird Geschlecht auch über die Relation zu anderen und ihrer Geschlechtlichkeit hergestellt, die vor allem auch über Formen und Spuren von Begehren, Irritationen von Begehren, sexuellen Verwirrungen hergestellt werden. In Begehren spielt die Frage der eigenen Gender-Zuordnung und der Gender-Zuordnung des Gegenübers eine wichtige Rolle. Der gelesene Ausschnitt zeigt zugleich, dass Intimität sexueller Kontakte jenseits äußerer Gender-Performances verlaufen kann, ohne einen Bruch herzustellen.
Wie werden Personen von anderen wahrgenommen, als Frau oder Mann? Was müssen sie machen, um die Geschlechtszuordnung in der Wahrnehmung anderer von sich selbst zu verändern? Welche Rolle spielen Kleidung, Auftreten, Name, Gestus und Habitus?
Ist in intimen, körpernahen Begegnungen eine Offenheit möglich, die einem öffentlichen Auftreten widersprechen kann und die trotzdem möglich ist? Wo sind die Räume queeren Lebens zwischen Körpern? Im eigenen Körpern? Jenseits der Blicke von außen?
Was ist eine historische Geschichte? Gibt es objektive Quellen und objektive Lesarten von Quellen? Inwiefern zeichnen sich Diskriminierte immer auch dadurch aus, dass sie lernen privilegierte, normalisierte Geschichten zu übersetzen, Subtexte zu finden und sich vorzustellen?
Neben allen diesen Dingen zeichnet sich der Roman von Angela Steidele auch durch sein Spielen mit der Idee historischer Quellen als Wahrheiten aus. Angela Steidele schafft eine historische Geschichte, die genau so und genau nicht so sein kann und die Geschichte im Singular und aller Eindeutigkeit in einem Vielstimmigkeit entlässt. Die Lesung ist somit ein Beispiel für die Queerung von Quellen, für eine Herausforderung des Glaubens an eindeutige Lesarten. Auch das ein wichtiger Teil queerender Literatur/en.
Bilden schwule und lesbische Menschen eine große soziale Gruppe? Was unterscheidet sie, ihr Erleben, die literarische Umsetzung? Kann ich in einem Text die Darstellung von Schwulen durch Lesben ersetzen und umgekehrt, von Heterosexuellen durch Homosexuelle? Was macht das mit dem Text und meiner Wahrnehmung? Welche Geschichten höre ich in Bezug worauf?
In dem Gespräch von Angela Steidele mit Thorsten Dönges wird zudem noch deutlich, dass lesbische Lebensweisen anders funktionieren und anders wahrgenommen werden als schwule und dass die Subsummierung beider unter den Sammelbegriff Homosexualität potentiell zu genau denselben Ausschlüssen führen kann wie es Sexismus auch in heteronormativen Welten tut.
Normen schreibend durchqueeren – queernormatives Schreiben
Zur HörstationStimmen finden: Die Macht der Formen
Zur HörstationKriterien eigener Existenz – jenseits sozialer Zuschreibungen da sein
Zur Hörstation30.01.1999, Ort, Lesung „Lorem ipsum lara est“
–