Wie hip ist queer – in welchen Sprachen schreibt sich queer? Wo und wie können Spuren von Gender-Unsicherheiten, Gender-Verwirrungen und Gender-Herausforderungen gefunden werden in Literatur, die weit vor dem Beginn des politischen Begriffs ‚queer‘ geschrieben worden ist?
Hat queeres Schreiben mit theoretischen Texten begonnen? Wie hängen Theorie einer Herausforderung von Gender- und Begehrensnormen mit künstlerischer Ausdrucksweise zusammen? Ist die Infragestellung von Gendernormen ein akademisches Spiel, welches sich so auch in die Literatur fortsetzt?
Welche Rolle spielt Musik für den künstlerischen Ausdruck von Queerness, u.a. auch in fiktiven Texten? Welche Rolle Mode für eine queere Gender-Performance?
Diese Fragen werden in dem Text von Thomas Meinecke wie in einer Collage zusammengeführt und bilden so eine polyvokale Wolke unterschiedlicher Lesarten, Bezugnahmen und Selbstwahrnehmungen. Der Text fragt mit verschiedenen Stimmen: Woran wird Geschlecht festgemacht? Wie hängen Geschlecht und Begehren zusammen? Welche Lesarten von Personen von anderen führen zu welchen Selbstbildern? Gender besteht in dem Text aus einem stabilen Teil, der konventionell vielleicht am ehesten als biologisch bezeichnet würde, kritisch als biologistisch. Dieser wird hier implizit und auch explizit durch zwei ‚Gens‘ (als Abkürzungen von Gender) definiert: GENe und GENitalien. Beide scheinen in dem Text unhinterfragbar als zweigeschlechtlich zuord- und einteilbar. Eine spannende Diskussion findet sich im letzten Teil dieser Lesung, in der danach gefragt wird, wie die GEN-Zuschreibungen zu Geschlecht zu potentiell unterschiedlichen Zuordnungen von Personen in Sex-Relationen führen: Welche Faktoren sind bestimmend dafür, ob eine Person als lesbisch oder schwul verstanden oder eingelesen wird – und von welcher anderen Person? Gibt es etwas jenseits der Zweigeschlechtlichkeit? Der Text spielt mit den sozialen Normen, die Zweigeschlechtlichkeit füllen. Er geht nicht darüber hinaus.
Der Text ist halb englisch, halb deutsch, was darin liegt, dass viele Interviews, Facebook- und Twitter-Kommentare von mehr oder weniger berühmten Stars und Sternchen zitiert werden. Das regt mich zu der Frage an, ob und welcher Sprache oder Sprachen es bedarf um unkonventionelle, von Beziehungs- und Gendernormen abweichende Konstellationen und Personen zu charakterisieren. Gleichzeitig bekommen die Liebes- oder vielmehr Sex-Beziehungen, um die es sich größtenteils handelt, auf diese Weise etwas Sensationelles, nahezu Skandalöses. Hier wie an vielen Stellen lebt der Roman von der Spannung auf der einen Seite nie gehörtes und unbeschriebenes zur Sprache zu bringen was Lebens- und Beziehungsformen und -muster betrifft, auf der anderen Seite sich aber genau an diesen konventionellen Strukturen abzuarbeiten oder sie zu vervielfältigen. Letztendlich geht es vor allem darum, wer mit wem im Bett war oder wie und wo Sex hatte – und für Sex scheint eine unablässliche Voraussetzung eine Genderzuordnung zu sein – von sich selber und auch von der anderen Person.
Was hat queer mit Sex/ualität zu tun? Welche Normen und Vorstellungen werden hier re_produziert, gebrochen, herausgefordert?
Stimmen finden: Die Macht der Formen
Zur HörstationNormen schreibend durchqueeren – queernormatives Schreiben
Zur HörstationDer Blick von außen im Innen – zurückblicken ohne Zorn
Zur Hörstation30.01.1999, Ort, Lesung „Lorem ipsum lara est“
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