Hilde Domin

04. Oktober 2004
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Lesung: Hilde Domin
Moderation: Ulrich Ott

Programmtext

„Ich nannte mich / ich selber rief mich / mit dem Namen einer Insel“, heißt es in Hilde Domins berühmtem Gedicht Landen dürfen. Die große alte Dame der deutschen Gegenwartsliteratur feiert in diesem Jahr ihren 95. Geburtstag. In Marbach wird die „Dichterin der Rückkehr“ (Hans-Georg Gadamer) aus ihrem Lebenswerk lesen, das seinen Anfang in den fünfziger Jahren nahm, also gegen Ende ihres Exils in der Dominikanischen Republik. Jedes Buch sei für sie ein „Befreiungsakt“, stellte Hilde Domin einmal programmatisch fest: „Auch jedes Gedicht. Benennen, ins Wort bringen, also ‚objektivieren‘ macht frei – oder doch freier. Die Erfahrungen von Exil und Rückkehr aus dem Exil sind in meiner Lyrik ebenso da wie in meiner Prosa.“

Weiterführende Informationen

Die 95-jährige Dichterin Hilde Domin blickt zu Beginn der Veranstaltung in Marbach zurück und erzählt aus ihrem ereignisreichen Leben, das ebenso wie ihr literarisches Werk von den Erfahrungen der Flucht, des Exils und der Rückkehr geprägt ist. Beispielsweise berichtet die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts, dass sie als „ein sehr politischer Mensch“ bereits 1932 der Meinung gewesen sei, dass man Deutschland besser verlassen sollte. Zusammen mit dem Kunsthistoriker und klassischen Archäologen Erwin Walter Palm, den sie 1936 heiratete, ging Hilde Domin zunächst nach Italien. Aus dem geplanten „Studium im Ausland“ sei sehr schnell „ein Studium im Exil“ geworden. 1939 flohen die beiden nach England, wo sich bereits seit 1933 Hilde Domins Eltern befanden. Von den Exilanten der Klasse C sei damals erwartet worden, dass sie sich wie Engländer benahmen und möglichst nicht auffielen. Außerdem hätten die jüdischen Flüchtlinge Veronal bekommen, für den Fall, dass die Nazis rüberkämen. 1940 reiste das mittellose Paar in die Dominikanische Republik ein, denn um nach Kuba, Mexiko, Argentinien oder Kanada gehen zu können, hätte man Tausende Dollar hinterlegen müssen. Erwin Walter Palm beschäftigte sich im Exil mit der damals noch unerforschten Kolonialarchitektur der Dominikanischen Republik. Nach dem traumatisch erfahrenen plötzlichen Tod ihrer Mutter 1951, begann Hilde Domin bzw. Palm Gedichte zu schreiben, die sie nach ihrer Rückkehr aus dem Exil 1954 bekanntlich unter dem Pseudonym „Domin“ (abgeleitet vom Zufluchtsort Santo Domingo) veröffentlichte, um nicht literarisch mit ihrem Mann in Konkurrenz treten zu müssen.

Der dezidiert autobiographische Charakter der Texte von Hilde Domin spiegelt sich auch im Ablauf der literarischen Veranstaltung in Marbach wider: Zum einen beginnt die Autorin mit der Erzählung ihrer Lebensgeschichte und zum anderen unterbricht sie immer wieder die Lesung ihrer lyrischen Werke, um diese in den biographischen Kontext einzubetten und sie zu kommentieren. So gibt sie beispielsweise nach der Rezitation des dritten Teils des Gedichtes „Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“ die Etymologie des Begriffs „Zivilcourage“ an (Bismarck habe dieses enorm wichtige Wort geprägt) und sie erläutert den Neologismus „Mit-Schmerz“ (das Wort „Mitleid“ sei schon so abgenutzt). Und als sie den zweiten Teil dieses Gedichtes rezitiert, dessen letzter Vers vom „Dennoch jedes Buchstabens“ handelt, betont sie, dass sie ein „Dennoch-Optimist“ sei, also einer, der wisse, wie schwierig Optimismus sei, und ihn dennoch besitze. Es war zudem eine Eigenart Hilde Domins, ihre eigenen Gedichte stets zweimal vorzutragen. Im Deutschen Literaturarchiv rezitiert sie noch folgende Gedichte: „Landen dürfen“, „Dieser weite Flügel“, „Tokaidoexpreß“, „Rückwanderung“, „Wer es könnte“, „Ecce Homo“, „Im Regen geschrieben“, „Einhorn“, „Es gibt dich“, „Bitte“, „Abel steh auf“, „Tunnel “ und „Nicht müde werden“. Außerdem liest sie einige Passagen aus ihrem Roman „Das zweite Paradies“ (1968), den sie als ein „Rückkehrerbuch“ bezeichnet. Ganz bewusst spricht Hilde Domin stets von ‚Rückkehr (aus dem Exil)‘ und nicht von ‚Heimkehr (nach Deutschland)‘, denn ihren „Wohnsitz“ fand sie bereits in Santo Domingo „im deutschen / Wort“ („Tokaidoexpreß“, V. 25 f.). In dem Essay „Heimat“, den Hilde Domin in leicht gekürzter Fassung ebenfalls in Marbach vorträgt und der in dem Band „Aber die Hoffnung. Autobiographisches aus und über Deutschland“ (1982) veröffentlicht wurde, findet sich folgendes Selbstbekenntnis: „Für mich ist die Sprache das Unverlierbare, nachdem alles andere sich als verlierbar erwiesen hatte. Das letzte, unabnehmbare Zuhause. Nur das Aufhören der Person (der Gehirntod) kann sie mir wegnehmen. Also die deutsche Sprache. In den andern Sprachen, die ich spreche, bin ich zu Gast. [...] Die deutsche Sprache war der Halt, ihr verdanken wir, daß wir die Identität mit uns selbst bewahren konnten. Der Sprache wegen bin ich auch zurückgekommen.“

Personen auf dem Podium