Studio LCB mit Franz Hodjak
27. Mai 1992
Literarisches Colloquium Berlin
Lesung: Franz Hodjak
Moderation: Hajo Steinert
Gäste: Werner Söllner, Peter Motzan
Weiterführende Informationen
Das für die Verhältnisse von 1992 brisante Thema, welches diese Radiosendung durchgehend prägt, ist aus heutiger Sicht ohne Hintergrundinformation nicht begreifbar. Zwar weiß eine gebildete Mehrheit rudimentär über die jüngere Geschichte der Rumäniendeutschen Bescheid, die bis 1918 eine Randzone des österreichischen Imperiums (ergo: des damaligen Ungarns) bewohnten; und man weiß in etwa, dass das Banat (Stichwort: Banater Schwaben) und Siebenbürgen nach dem ersten Weltkrieg zu Rumänien gehörten - und von den Nationalsozialisten hofiert wurden, was nach dem 2. Weltkrieg wiederum zu Deportationen zahlreicher Rumäniendeutscher durch die Sowjets führte (siehe dazu auch die Geschichte Oskar Pastiors). Aber dass nach der Revolution von 1989 und dem dramatischen Sturz von Ceausescu innerhalb eines Jahres um die 112.000 Deutschstämmige ihren Ausreiseantrag stellten, um nach Deutschland überzusiedeln, ist wenig bekannt. Ebenso wenig weiß man, dass heutzutage in etwa lediglich 40.000 deutschsprachig geprägte Menschen in Rumänien leben.
Im Lichte dieser Informationen verändert sich der Charakter der Sendung. Es mutet nämlich ein wenig verklausuliert an, wenn Hodjak und seine Gesprächspartner, die ebenfalls Rumäniendeutsche sind, von einem Verlag - "Dacia" - in Klausenburg berichten, der ausschließlich deutschsprachige Literatur in Rumänien publiziert; und über die ungeheuer schlechten Absatzzahlen klagen. Das ist natürlich auch eine direkte Folge eines radikalen Schrumpfungsprozesses innerhalb der Bevölkerung. Das latente 'Aussterben' wird jedoch erst am Ende der Sendung zur Sprache gebracht, so dass der Zuhörer das Ausmaß erst da allmählich versteht.
Ein anderer Aspekt, den man zunächst missversteht, ist der Text von Hodjak. Die Handlung der Erzählung "Reiseziel" wird von einer surrealen, fast an einen Cartoon erinnernden Folge von Ereignissen dominiert: Zu Beginn verlässt der Protagonist sein Haus, indem er mit Nägeln und Brettern die Tür verschließt. Mit einem Zelt reist er in die Hauptstadt, um vor einer Botschaft zu campieren, wobei er kein Einzelfall ist, sondern einer von sehr vielen. Auf dem Camping-Feld begegnen ihm berühmte Ritter wie zum Beispiel Parzival. Diese Erzählung erweist sich allerdings als nur bedingt surreal verfremdeter Stoff, sondern spiegelt in besonderer Weise die absurde Situation vieler Menschen des ehemaligen Ostblocks zu Beginn der 90er Jahre wider.
Programmtext
Franz Hodjak gehört zu den wenigen deutschsprachigen Dichtern, die in den achziger Jahren nicht aus Ceausescus Dikatur in die BRD ausgewandert sind. Mit dem Erzählungsband "Zahltag" machte er unlängst auf sich aufmerksam. "Hodjaks Erzählen geht stets auf die exemplarische Existenz, entgleitet aber nirgends in Sentimentalität, kommt ohne spektakuläre Vorschläge zur Weltverbesserung aus" (FAZ). Eine Lesung aus unveröffentlichten Texten und ein Gespräch mit den Autoren Werner Söllner und Peter Motzan.